Nazis – I Hate Those Guys Part II. – “Hitlers Madman”, “Confessions of a Nazi Spy”, “The Small Back Room”

Unter dem Kapitel „Know Your Enemy“ versammelte die Berlinale-Retrospektive Antinazifilme; personell verbunden mit der Weimarer Republik durch Exilanten hinter und vor der Kamera, die filmisch ihre Erfahrungen mit dem Faschismus verarbeiteten – was dazu führte, dass viele jüdischen Auswanderer aus Deutschland in den Filmen Hollywoods wegen ihres Akzents ausgerechnet Nazis spielten.

Der Weimar Touch muss wörtlich genommen werden, als tatsächlicher Berührungspunkt des Personals. Thematisch, motivisch oder ästhetisch freilich ist eine Verbindung zum Weimarer Geist eher Spekulationssache. Und beim Betrachten hat man das Gefühl, Teil einer anderen, noch zu konzipierenden Retro zu sein: Propagandafilme, die sich mit Nationalsozialismus auseinandersetzen, mit kriegerischer Feindschaft im 2. Weltkrieg; wäre das nicht ein dolles Thema, die deutsche Propaganda mit der ausländischen in Vergleich zu setzen – und dabei vielleicht dieselben Strategien von Dramaturgie, Mise en Scene und Argumentation zu betrachten, eingesetzt freilich für ganz entgegengesetzte Ziele?

 

Nun: Immerhin kann man hier beim „Weimar Touch“ zwei ganz verschiedene US-Ansätze zur filmischen Verarbeitung des Heydrich-Attentats vergleichen. „Hangmen Also Die“ ist eine Fantasie über die Geschehnisse von Fritz Lang und Bert Brecht, in der der Zusammenhalt der tschechischen Bevölkerung wider die Nazis betont. Douglas Sirk (= Detlev Sierck) dagegen fokussiert in seiner ersten US-Regie auf den Terror, den die Nazis unter Reichsprotektor Heydrich ausüben – die Filmtitel allein machen den Unterschied schon deutlich. Sirk, der bis in die späten Dreißiger in Deutschland seine Melodramen drehte – die oft genug unter „Blut und Boden“ subsummiert werden können – kennt das NS-System aus erster Hand, anders als viele Exilanten, die um 1933 Deutschland verlassen mussten. Tatsächlich scheint er sehr viel mehr persönliche Betroffenheit zu zeigen in seiner Annäherung an die Geschehnisse in und um Prag im Sommer 1942. Lang zeigt den tschechischen Widerstand als tschechische Angelegenheit; Sirk zeigt, wie Anstöße von außen kommen mussten, von Exilanten, die als Teil der alliierten Streitkräfte per Fallschirm zurück in die alte Heimat sprangen, um dort Widerstand, Untergrund, Partisanentum anzustoßen und zu organisieren. Auch das Heydrich-Attentat war in diesem Sinn „auslandsgesteuert“. Sirk folgt dem Exilanten Vavra, der bei Lidice, nahe seinem Geburtsort, abspringt, um dort Strukturen des Widerstands aufzubauen. Dass er noch eine alte Liebesverknüpfung mit diesem Ort hat – das ist Sirks melodramatische Expertise, die hier greift. Dass er ungeschönt den Terror des Prager Henkers Heydrich zeigt, treibt die Propagandamaschinerie an, die dieser Film betreibt – nämlich, um insbesondere die US-Bevölkerung von der Notwendigkeit des Kampfes gegen Hitlerdeutschland zu überzeugen. Verifiziert natürlich durch Sirk/Siercks eigene Biographie.

Wir erleben willkürliche Verhaftungen, sadistische Quälereien, Rassismus, Lüge, Opportunismus – und darauf aufgesetzt weitergehende Dämonisierungen, die nicht unbedingt der Wahrheit entsprechen müssen. So wird ein Gegensatz der Religionen aufgebaut – als hätten die Tschechen einen anderen Glauben als die Deutschen; als Argument wichtig in God’s Own Country. Heydrich persönlich lässt willkürlich Intellektuelle verhaften, nimmt bei einer philosophischen Uni-Vorlesung die Sache selbst in die Hand, redet über die Gewalt, der man sich beugen muss, schickt die männlichen Studenten ins KZ und die weiblichen als „Unterhalterinnen“ der Soldaten an die Ostfront. Mehr noch: Er persönlich castet die Kandidatinnen, die Zwangshuren für die Wehrmacht werden sollen, nach Alter und Aussehen, und im Nebenraum warten schon die Instrumente zur medizinischen Untersuchung: sadistische Perversion allerorten, eine klare Botschaft an das anständige Amerika, welche notgeilen Gewaltfantasien in Prag schreckliche Wirklichkeit werden. Eines der Mädels, die wir näher kennenlernen stürzt sich aus dem Fenster…

Der Terror der Nazis erzeugt den notwendigen Druck, gegen den sich nun die zuvor so zögerliche tschechische Bevölkerung auflehnt. Vavra hat nun die Leute aus Lidice hinter sich. Selbst die Gattin des deutschen Bürgermeisters – nach der Nachricht vom Tod der beiden Soldatensöhne, nach dem Mord an einem Priester ist das Offenbarwerden der deutschen Schreckensherrschaft selbst für sie zuviel. Sie gibt die Nachricht weiter, wann Heydrich wo unterwegs sein wird… und das Attentat glückt.

Am Totenbett, mit Himmler persönlich als Tröster neben sich, zeigt Heydrich sein wahres Wesen, hasserfüllt und ehrgeizzerfressen entpuppt sich sein Nazitum als bloßes Gefäß für das Böse an sich. Nein, Held ist er nicht, zu dem ihn Himmler im Nachhinein erklärt, nur eine Ratte, die nicht sterben will – und deshalb nur bedauert, versäumt zu haben, die gesamte tschechische Bevölkerung auszurotten. (Dass die Nazis in Berlin eben dies, ganz real, mit den Juden vorhatten, und diesem Ziel schon zum Zeitpunkt des Geschehens wie auch erst recht zum Zeitpunkt der Filmveröffentlichung sehr nahe gekommen sind, wird in „Hitler’s Madman“ nicht erwähnt.)

Heydrichs Diadochen jedenfalls radieren am Ende den Ort Lidice aus. Ein schreckliches Massaker, das der Film minutiös festhält: Brandschatzung und Zerbomben der Häuser; Verladung der Frauen ins KZ; das Entreißen ihrer weinenden Kinder aus ihren Armen; und das kaltblütige Erschießen aller Männer über 16 Jahren. Aktuelle Berichterstattung dessen, was tatsächlich am 10. Juni 1942 nicht weit von Prag geschah. Am Ende erscheinen die Geister der Verstorbenen auf dem Filmbild, mit eindringlichem Aufruf an den Betrachter: Vergesst nicht, was in Lidice geschah!

 

Wert auf verifizierte Wirklichkeitsnähe legt „Confessions of a Nazi Spy“. Eigentlich ungeheuerlich, dass bereits 1939 in den USA ein Antinazifilm entstand, lange vor Kriegseintritt, zu dem es ja erst den japanischen Angriff auf Pearl Harbour brauchte. Anatole Litvak – in den 1920ern von Russland nach Deutschland emigriert, dann auch aus Deutschland vertrieben – inszeniert mit dem unbedingten Willen zur Wahrheit. Grundlage bildet eine journalistische Artikelserie über deutsche Spione in den USA, Litvak macht daraus ein Panoptikum von Deutschtümlern, Vaterlandsliebhabern, Nazifanatikern, die die amerikanische Verfassung auszuhöhlen versuchen; und von Deutschland gesteuert werden, die schon lange die USA als Feind ausgemacht haben, deshalb militärische Geheimnisse herausfinden wollen.

Ein Verschwörungsthriller ist das, bei dem zunächst, eine dreiviertel Stunde lang, nur die Nazi-Feinde ungestört operieren. Die US-Behörden: keine Ahnung und kein Interesse an den Umtrieben im Umfeld des German-American Bund“. Dr. Karl Kassel hetzt gegen Amerika, in Amerika, gegen das Chaos der Demokratie, gegen den genetischen Mischmasch. Und rekrutiert nebenbei Spione wie Kurt Schneider, ein kleiner Hansel mit großem Mundwerk. Verbindung nach Deutschland: Die „Bismarck“, immer wenn sie in New York anlegt, kommt Schlager von Bord, der harte Hund des deutschen Geheimdienstes; im Schlepptau die Gestapo. Ungestört kann das Netz gespannt werden, ungeahndet werden Geheimnisse gestohlen, die Truppenstärke etwa oder neue Waffen betreffend. Das alles wird beglaubigt durch einen die Zusammenhänge erläuternden Voice-Over-Kommentar und durch dokumentarische Bilder. Und in den ständigen Appellen, Reden und Versammlungen der Deutschen wird alles ganz deutlich, wie feindselig die Deutsch-Amerikaner gegen Amerika eingestellt sind, wie sehr sie für ihr altes Vaterland alles tun würden…

Nein: Nicht alle Deutschen in Amerika sind so; deutlich zeigt der Film, wie eine ältere Dame mit (berechtigten) Zweifeln am NS-System schnurstracks der Gestapo übergeben wird, zur Zurückführung nach Deutschland; auch ein Zweifler am Stammtisch wird geschnappt und zurückgebracht, denn in Deutschland weiß man, wie man mit Defätisten umzugehen hat. Wer nicht auf deutschem Kurs ist, auch in Amerika, hat sein Leben verwirkt.

Erst spät kommt Edward G. Robinson ins Spiel, der ein paar Drehtage als Star des Films verbracht hat: Der britische Militärgeheimdienst ist dem Nazi-Briefverteiler in Schottland auf die Spur gekommen, erst dadurch überhaupt Amerika auf das Verschwörernetzwerk gestoßen. Nun greift das FBI durch. Und glücklicherweise für Amerika weiß E.G. Robinson genau, wie er die gefassten Spionageverdächtigen anpacken muss. Schneider zum Beispiel, der zwischen Geldgier und Geltungsucht sein Heil im Spionieren gesucht hat, wird geschmeichelt bis zum Gehtnichtmehr, bis er angeberisch Namen nennt. Schlagers Assistentin verwirrt er, stößt sie auf echte oder vermeintliche Widersprüche, bis sie sich verplappert. Dr. Kassel wird ganz anders angepackt – man weiß, dass er gerne seine Frau mit seiner Assistentin betrügt… Robinson agiert cool, souverän, locker, routiniert, in seiner Rolle wie als Darsteller. Und schafft es so, einige der Knotenpunkte des Spionagerings vor Gericht zu bringen; selbst einem deutschen Diplomaten kann er einen Kommentar zur Verbindung der deutschen Regierung zu den Amerika-Deutschen entlocken. Freilich: Die Gestapo-Terroristen und Verbindungsmann Schlager werden nicht gefasst, ja: Ihnen gelingt gar die Verschleppung, Rückführung und mutmaßliche Ermordung einiger der geständigen Nazi-Spione…

Die USA haben keinen Krieg mit Deutschland, heißt es einmal; aber Deutschland führt Krieg gegen uns. Tatsächlich ist der Film brandaktuell in die Kinos gekommen – offenbar in einem Nachdreh – mit eingeschnittenem Dokumentarmaterial und einem erklärenden Off-Kommentar – baut Litvak geschickt die aktuelle Entwicklung in Europa ein, die Feldzüge gegen Polen, Norwegen, die Benelux-Länder. Man kann ziemlich genau datieren, wann der Film in seiner Endfassung geschnitten wurde, spätestens zu Beginn des Frankreicheroberungszuges. Das sind nochmals eindringliche Bilder zur Gefährlichkeit des Hitlerregimes – deren Gefahr für die USA stets nochmals extra betont wird. Und versehen mit dem deutlichen Schlusswort: „Denen zeigen wir’s!“

 

Antinazipropaganda ist „The Small Back Room“ von Michael Powell und Emeric Pressburger nicht; doch der Film von 1949 spielt zur Zeit des Krieges gegen Deutschland. Wir folgen einer Gruppe von „Experten im Hinterzimmer“ (so der deutsche Verleihtitel), die als unabhängiger Stab militärische Beratungen und Studien durchführen. Zwei Handlungsstränge dabei: Erstens Versuche an einer neuen Kanone, die baldmöglichst eingesetzt werden soll; zweitens Abwehrmaßnahmen gegen deutsche Sprengfallen, die abgeworfen werden und bei Berührung explodieren. Schon ein halbes Dutzend Todesopfer haben diese perfiden Bomben gefordert, und man weiß noch nicht einmal wie der Zünder funktioniert, chemisch, elekrisch, per Erschütterung…

Was in anderen Filmen freilich die Handlungslinien bestimmen würde, ist in diesem raffinierten, komplexen Film eher der Hintergrund. Tatsächlich geht es um Sammy Rice, Kriegsveteran, der ein Bein verloren hat. Er ist Experte für Sprengstoff, der beste seiner Zunft. Keiner kann ihm das Wasser reichen – doch er ist verbittert, sarkastisch, hat jeden Ehrgeiz verloren, ja: jeden Glauben. In stiller Verzweiflung legt er sich nicht nur mit seinen Vorgesetzten an, sondern lässt seine Launen auch an der Geliebten Susan aus, Sekretärin im kleinen Hinterzimmer, mit der er ein heimliches, dennoch inniges Verhältnis pflegt. Er definiert sich über den Verlust seines Beines, hat damit Stolz, Männlichkeit, Menschlichkeit verloren (mitunter fragt man sich, inwieweit Dr. House an ihn angelegt ist). Schmerzmittel helfen nicht mehr, Alkohol ist sein Tröster – in einer großartigen Sequenz zwischen Traum, Halluzination, Seelenentäußerung und Realität kämpft er gegen das Begehren an, diese eine verlockende Whiskyflasche zu öffnen, die er eigentlich zur Feier des noch kommenden D-Days vorgesehen hat… Eine Alptraumsequenz, die ihren Ursprung am caligaresken Expressionismus der Weimarer Stummfilmzeit nicht verleugnet, mit tickenden Uhren, riesiger Flasche, perspektivisch verzerrten Räumen – grandioses Design, das nicht aufgesetzt wirkt, sondern als zwingendes ästhetisches Konzept.

Rice, der Einzelgänger unter den Experten, der einsame Wolf, versaut es sich mit allen. Umstrukturierungen der Behörden setzen seinem Hinterzimmerprojekt zu, Rice ist nicht unschuldig: Spricht er sich doch gegen die politisch gewünschte, militärisch freilich unausgereifte neue Kanone aus, deren Verkauf ein großer Erfolg für die Waffenentwicklung wäre… Powell und Pressburger sparen hier nicht an Kritik und Satire, wenn die Petitessen, die Missgunst, das Prestigestreben, die Kompetenzstreitigkeiten der einzelnen Abteilungen gezeigt werden, die weniger zusammen – gegen den gemeinsamen Feind – als gegeneinander arbeiten. Der Finanzminister – in den Credits als „A Guest“ angegeben: Robert Morley, den wir aus Miss Marple-Filmen kennen – ist bei einer Visite im Hinterzimmer begeistert von allem, was blinkt. Und die Experten bereiten ihm eine gehörige Show, tun alle wahnsinnig beschäftigt, zünden gar eindrucksvoll ein bisschen Watte an. Während es sonst eher ruhig bis behäbig zugeht, mit diversen Privattelefonaten und Bürotratsch (auch hier, im ständigen Verquicken von Arbeit und Privatleben, weil sich Fachleute so etwas leisten können, ein Vorläufer der House-Serie). Höhepunkt der Szene: Der Minister, der die Finanzen des Königreiches verwaltet, sieht zum ersten Mal eine Rechenmaschine und ist begeistert, welch große Zahlenreihen man mit Knopfdruck durchkalkulieren kann.

Der Handlungsstrang mit den deutschen Sprengfallen wird hochemotional inszeniert, als wirklich starkes Gegengewicht zum bloßen Porträt einer Expertengruppe, von Bürokratiewirrwarr und mittendrin Rice als verlorene Szene. Wir sehen einem, der heftigst verwundet wurde durch die Explosion, minutenlang beim Sterben zu, begleitet von Rice und einem Militäroffizier. Man muss dem Sterbenden entlocken, wie die Bombe sich zündete, und – unmenschlich eigentlich – greift zum Mittel des drängenden Zwangs: In der Stunde des Todes wird das Opfer angebrüllt, zu antworten, hat er die Bombe angehoben, wie, an welcher Seite: Das ist kaum zu schlucken für den Zuschauer.

Am Ende, nach dem Zusammenbruch von Rice, der nun tatsächlich von aller Welt verlassen ist, der nun tatsächlich dem Whisky erlegen ist, ein Anruf. Zwei Sprengfallen, unversehrt. Heftig verkatert ist bei Rice’ Ankunft noch eine übrig: sein Kollege ist schon in die Luft geflogen. Und Rice macht sich in einer langen Sequenz, unter höchster Lebensgefahr, daran, den zylinderförmigen Sprengkörper zu erforschen, ihm sein Geheimnis zu entlocken, mitten im lockeren Kies des Strandes liegt er da, und Rice, der schwitzende, zitternde Rice, der die Welt verflucht, den die Welt verflucht, er hat eine Aufgabe, die nur er lösen kann. Höchst intensiv, ungefähr wie in Bigelows „Hurt Locker“, diese Sequenz, die Kamera ganz nah dran, und damit der Zuschauer, der mitfiebert, ja: der körperlich mitschwitzt, wenn eine Klemme verrutscht, wenn Kieselsteine ins Rutschen kommen, wenn ein Draht im Zünder verklemmt wird…: Eine meisterhafte Szene in einem ziemlich perfekten Film.

 

Die Retrospektive insgesamt der diesjährigen Berlinale war in der Konzeption klug, im Detail freilich, in der Auswahl der Filme, etwas beliebig (freilich nicht willkürlich); dem Weimar Touch konnte man auf die Spur kommen, nicht immer zwar, aber immer wieder, auch wenn dieser Geist der Weimarer Zeit sich nur aus den hier gezeigten sekundären, den nachfolgenden Filmen manifestierte, nicht aus dem Primärmaterial der 20er und Anfang-30er Jahre selbst. Das aber ist eine andere Geschichte, die vielleicht ein anderes Mal erzählt werden will; vielleicht bei einer späteren Berlinale-Retro.

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