von Nofreteten, Palästinensern und Pixeln…

Samstag
Heute gar kein Film, dafür den ganzen Tag am Schreibtisch gesessen und geschrieben, erst zu Filmen zum Palästina-Konflikt aus Forum und Panorama, von denen zwei (“A World Not Ours” im Panorama und “When I Saw You”  im Forum)  Anlass geben, kinematographische Hoffnungen auf eine neue Generation in den 1970ern geborener palästinensischer Filmemacher zu setzen, die – aus dem arabischen oder dem europäischem Exil – mit Filmen aus der ersten Person neue von politischen Rücksichtnahmen freie Stimmen zum bringen. Von den Filmen am spannendsten dabei  “A World Not Ours”, eine dokumentarische Familienerkundung des 1979 in Dubai geborenen und in einem libanesichen Flüchtlingslager aufgewachsenen und nach Emigration nach Dänemark in London ausgebildeten Madhi Fleifel. Ein Film, der sehr persönliche Erfahrungen – und Fussball – zu einer politischen und widersprüchlichen Erkundung palästinensischer Exilbefindlichkeit nutzt – und zum Versuch, ein palästinensisches Geschichtsbewusstsein.

Zum Thema Erinnerungskultur passt die Vorführung von “Le cousin Jules” im Delphi, über den Film kann man alles nachlesen, er ist großartig. Was mich nur etwas schockiert hat, war die vorgeführte aufwendig restaurierte Kopie des Cinemascope-Films aus dem Jahr 1973, weil hier vom ganz materiellen Charme alter Filme (die ich besonders liebe) wirklich alles getilgt war, so dass man das Gefühl hat, eine bizarre Re-Inszenierung zu sehen. Nichts flackert, nicht die kleinste Fluse, dafür bei den Totalen auf die Natur statt lebendigem Blätterzittern Verpixelungen im Blattwerk. Traurig, weil wir wohl bald mit ganz seltenen Ausnahmen nur noch derart Bearbeitetes zu sehen bekommen, auch der Eröffnungsfilm “The Grandmaster” war ein gutes Beispiel für die Kälte digitaler Projektion. Doch junge Menschen (von denen wenige im Delphi waren) werden vermutlich bald schon nicht einmal mehr den Unterschied kennen. Also ist es wahrscheinlich nur die Generation der mit Flackerfilm, verschmelzenden Farbemulsionen und ratternden D-Zügen Herangewachsenen, die unter dem digitalen Gletscher und dem ICE-Reisen leiden. Wenigstens ein guter Grund, sich nicht das ewige Leben zu wünschen….

Zur Erholung noch ein kleiner Medienspiegel. Zum Beispiel Aspekte im ARD-Nachtfernsehen mit einem hektisch herumrennenden bescheuerten Moderator, der Thomas Arslan zu seinem Wettbewerbsfilm allen Ernstes fragt, ob “Gold denn Gold holen” kann ;-(.  Ulrich Seidl, der mit breitem Grinsen sagt “Natürlich interessieren mich schöne Frauen”. Und zum Thema Frauen-Berlinale  ein Zitat aus dem Tagesspiegel vom Samstag, wo der ins Schwärmen gekommene Jan Schulz-Ojala angesichts der noblen Erscheinung einer Juryfrau gleich einen neuen Vorschlag zur Lösung des ewigen Antikenstreits mit Ägypten hat: “Adieu, Nofretete, willkommen Shirin Neshat!”.

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Eine Antwort auf von Nofreteten, Palästinensern und Pixeln…

  1. joerg.buttgereit sagt:

    “Die Kälte digitaler Projektion” – brrrr. Sehr schön formuliert.

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