Retrospektive: The Cheat und The Typhoon

Ein Doppelprogramm mit einem Japaner in Hollywood: Sessue Hayakawa ist ein Mann von ebenmäßigen Zügen; in Reginals Barkers „The Typhoon“ wurde er 1914 zum Star, unter Cecil B. DeMille spielte er 1915 in „The Cheat“ („Das Brandmal der Rache“) – beides Filme, die perfekt zueinander passen. Geht es doch jedesmal um Liebe und Verrat, mit Hayakawa mal als Täter, mal als Opfer. Das Ende jeweils ein Gerichtsprozess.

„The Cheat“: Eine Frau gibt das Geld aus, das ihr Mann, Börsenmakler, kaum herbeischaffen kann. Freilich: Wenn dessen Investition in D.&O.-Aktien gelingt… Freilich: Ein Kollege glaubt nicht dran, er setzt auf Kupferaktien, die Frau gibt 10.000 Dollar aus, die sie als Schatzmeisterin fürs Rote Kreuz treuhänderisch verwaltet und die eigentlich als Hilfe zu den Belgiern gehen soll (wäre auch mal interessant: Haben sich die USA charitymäßig in den Ersten Weltkrieg eingebracht, bevor sie richtig involviert waren?)…

Jedenfalls gehen die Kupferaktien den Bach runter, Frauchen hat das Geld des Roten Kreuzes verloren, und es springt der Hausfreund ein, mit dem sie schon lange gesellschaftlichen Umgang pflegt: Und dieser wird von Hayakawa gespielt.

Jetzt ist es bemerkenswert, die Rolle des schurkischen Rivalen mit einem Asiaten zu besetzen. Denn einerseits erfüllt Hayakawa in seiner Rolle alle Klischees des tückischen Schlitzauges, der auch unheimlich böse kucken kann, als er von seiner Chance erfährt, die Verehrte finanziell an sich zu binden: voll Heimtücke nimmt er sie ins Visier mit zusammengekniffenen Augen. Ha, sie wird die meine sein! Und wir wissen, wie er das anstellen wird: Als Kunstsammler markiert er all seine japanischen Gegenstände mit einem Brandstempel…

Und andererseits wird – außer über das Aussehen – nie thematisiert, dass dieser Nebenbuhler, der sich die Frau eines anderen unter den Nagel reißen will, Asiate ist. Es ist ganz normal, mit ihm Umgang zu haben, er ist High Society wie jeder andere auch. Dass er böse ist – das kann jedem passieren.

Ehefrau lässt sich jedenfalls keine Erpressung gefallen, zufällig ist da eine Pistole… Ehemann nimmt die Schuld auf sich, und erst beim Gerichtsverfahren etc.pp. (Alibimäßig sei zu Licht und Schatten erwähnt, dass die Kameraarbeit von Alvin Wyckoff wirklich herausragend ist, schon am Anfang, im dunklen Raum der glühende Kohlentopf, in dem der Japaner sein Brandeisen erhitzt…)

 

„The Typhoon“, der zweite Film des Double Features, war vielleicht eine Art Blaupause für DeMille, ist jedenfalls nicht so schön gefilmt, sondern ziemlich einfach dem Typus des Salondramas zugehörig. Bemerkenswert hier: Dass ganz selbstverständlich angenommen wird, dass diplomatisches Personal grundsätzlich auch Spionagetätigkeiten ausübt; und dass diese zwar in heißem Nationalismus erglühen, dieser aber nicht grundsätzlich als Übel angesehen wird, auch wenn an ihm die ganze dramatische Wendung hängt.

Hayakawa spielt einen japanischen Diplomaten in Paris, der nachrichtendienstliche Informationen sammeln, Statistiken auswerten soll. Eine Geliebte hat er auch, klar, eine leichtlebige Schauspielerin, die wegen seines Geldes ihren vorherigen Verlobten, einen Schriftsteller, hat sitzen lassen. Während der Botschafter diese Liaison gar nicht gerne sieht, schließlich muss das Vaterland und damit die Arbeit im Vordergrund stehen.

Das also die drei Pole; schön gezeichnet das Boheme-Lokal, in dem typischerweise schräge Karikaturen an den Wänden hängen und wo sich das Künstlervolk trifft. Dagegen die Diplomaten, die – ein heute lustig wirkender Effekt – andauernd im Auto vorfahren, sieben zylinderbehutete Anzugsträger im offenen Wagen… Eine Weile weiß man nicht, wohin der Film führen soll, dann wird klar, dass alles an dieser vergnügungssüchtigen Schauspielerin hängt, die dann auch noch im Streit ihren Geliebten und Japan beschimpft: ihn als „whining yellow rat“ und Japan als „dirty yellow blot on the face of the earth“ bezeichnet. Das ist zuviel, er erwürgt sie. Und hat damit eigentlich gar nicht so unrecht…

Schließlich Gerichtsverfahren, und im Namen Nippons wird der wichtige Spion, der die Tat begangen hat, entlastet, indem sich ein unwichtiger Praktikant für die große Sache Japans opfert und die Tat auf sich nimmt… Der Prozess ist weit weniger spannend als bei DeMille gezeichnet, zumal vieles über lange Zwischentitel erklärt wird. Doch die Opferbereitschaft aus nationaler Aufwallung – die wird nicht wirklich in Frage gestellt.

Hayakawa zeigt in diesem Film ein höchst theatralisches Posieren, das er im späteren „The Cheat“ dann doch unterlässt. Ach, wie sehr ist er erschüttert, verdreht die Augen, weicht entsetzt zurück, hält sich schwankend fest – das ist die Art von Spiel, die den Ruf des Stummfilms mit fremdartiger Ästhetik und unfreiwillig komischem Pathos begründet – ein Ruf, der nur in den allerseltensten Fällen wie diesem hier tatsächlich erfüllt wird. Doch das ist eine andere Geschichte, die ein anderes Mal erzählt werden soll.

 

Harald Mühlbeyer

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