Gier und Obsession: „The Queen of Spades“

So ein eleganter Herr war Adolf Wohlbrück in “Viktor und Viktoria”, ein wahrer Gentleman, ein Mann von Charme und Ehre. In „The Queen of Spades“ von Thorold Dickinson, 1949, ist er – unter seinem englischen Exil-Namen Anton Walbrook – nicht wiederzuerkennen. Aufgedunsen, nervös, kurz vorm Explodieren wirkt er: Er spielt Herman Suvorin, ehrgeiziger Offizier im St. Petersburg des Jahres 1806, der nicht dem Dämon des Glücksspiels verfallen ist – freilich nur, weil man beim Glücksspiel verlieren kann, er aber alles daran setzt, ganz sicher und ganz bestimmt ganz viel Geld zu erlangen, um alle anderen in den Sack stecken zu können.

Ein Buch kommt ihm unter, über geheimes Wissen, über die Dinge, die man besser nie erfahren sollte – das Geheimnis der Karten hat es ihm angetan, er liest über die Gräfin R. Das kann niemand anderes sein als die Ranewskaja, eine alte, boshafte Schachtel, die das Leben ihres Mündels Lizaveta tyrannisiert, mit ständigem Befehlston und grotesk aufgetürmter Perücke. An sie müsste man sich ranmachen, um so an die alte Gräfin zu kommen, ihr das Geheimnis entlocken, Geld, Karriere, Macht und Glück zu erlangem…

Von Anfang an regiert der Wahnsinn in den Augen von Suvorin, der nichts kennt als sich selbst. Von Anfang an ist das Böse enthalten in diesem richtig Film, der die Ikonographie des Grauens zelebriert: Schwarze Romantik, Gothic Novel standen Pate, und sicherlich auch filmische Vorbilder der Weimarer Republik, wo ja die düsteren Ecken der Seele stets auf überzeugende Weise ausgespäht wurden, mit Spiegelbildern und Schatten, die sich verselbständigen, mit dem personifizierten Tod, der auftritt, mit Körperteilen, in denen sich pars pro toto das Böse manifestiert, mit den Nachtmahren und Dämonen, die man in sich hält und die ihr Grauen nach außen tragen. Dickinson gestaltet seinen „Queen of Spades“ als labyrinthische Seelenlandschaft, als Netz aus Obsession und Gier, in dem man andere und sich selbst fängt.

Eine Rückblende zeigt die junge Gräfin Ranewskaja in ihrem Herrenhaus, und sie spürt etwas wie Liebe – zu ihrem Liebhaber, den sie heimlich, über einen Geheimgang, einlässt, ein Bücherbord tarnt den Weg nach draußen. Und der Liebhaber betrügt sie, will nur ihr Geld, eine große verschlossene Truhe ist der Gegenstand des Begehrens. Und dann ist da, im Hintergrund, Graf de Saint-German, ein mephistophelischer Magier, der Geheimnisse gegen Seelen eintauscht.

60 Jahre später ist Ranewskaja verbittert, sie habe Angst vor dem Tod, heißt es, deshalb mache sie anderen das Leben zur Hölle – dass sie ihre Seele verloren hat, dass sie schreckliche Geheimnisse kennt, weiß niemand. Nur Suvorin ahnt etwas. Und bemächtigt sich der Mittel des Täuschens und Betrügens, schreibt feurige Liebesbriefe an Lizaveta, die ihm verfällt. Nebenher läuft eine kleine verzweifelte Liebesgeschichte, Suvorins Kamerad ist wahrhaftig und tief inniglich in Lizaveta verliebt; eine Szene verdichtet diese Konstellation auf äußerst wirksame Weise: Suvorin ringt nach Worten, um seine Liebe echt wirken zu lassen, und lässt sich vom Kameraden diktieren, was dieser seiner Lizaveta sagen möchte – ohne dass der ahnt, dass Suvorin mit diesen Worten eben Lizaveta ins Unglück zu stürzen gewillt ist.

Schatten an der Wand, ein Eigenleben der Silhouetten, sowie Spiegelungen, in denen sich Menschen und Gegenstände doppeln, sind visuelle Leitmotive des Films: Dickinson weiß auf der Klaviatur des Bildlichen zu spielen, um genau die unheilvolle Stimmung zu erzeugen, die den Film trägt. Walbrooks Augen werden immer fanatischer, immer eindringender, immer zielgerichteter – und am Ende dann die starren Augen der toten alten Gräfin, die sich ins Filmbild einzubrennen scheinen. Höhepunkt des Films: Eine übernatürliche Erscheinung der toten Gräfin, langsam, im slow burn, erzählt über Geräusche und Windstöße, die sich zunächst noch erklären ließen, bis sich ein Sturm entfacht in Suvorins Kammer; und das Rascheln des steifen Rockes der alten Gräfin durchs Zimmer schallt…

Am Ende erringt Suvorin das Geheimnis der Spielkarten, das immerwährendes Gewinnen garantiert. Und er gewinnt – beinahe. Vielleicht konnte er deshalb nicht Geld und Macht erlangen, weil er – der satanische Verführer ohne Mitleid und Gewissen – längst schon keine Seele mehr hatte, die er als Pfand auf das Kartengeheimnis hätte hergeben können.

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