Revolutionäre Zeiten

Die Revolution liegt in der Luft. Das Geld wird verpulvert, die Bevölkerung ist entrechtet, das Land steht vor dem Zusammenbruch, wenn alles bleibt wie es ist: so ist das sowohl 1789 in Frankreich – Eröffnungsfilm „Les Adieux à la Reine“ – als auch um 1770 herum in Dänemark in „En kongelig affaere“, der heute Premiere hatte. Wobei in ersterem die Französische Revolution eine Schimäre im Hintergrund bleibt, in Versailles kommt sie mit anderthalb Tagen Verspätung gerüchteweise an, die berühmte Erstürmung der Bastille, die Bewaffnung der Bevölkerung, der Aufruhr sind nur Hörensagen, nichts Genaues weiß man nicht. Und Regisseur Benoit Jacquot erzählt die Story von der Panik auf Versailles, und zwar als Clou von unten, aus Sicht der Bibliothekarin von Marie Antoinette. Das gibt einen neuen Blick auf die Umwälzung, die ganz Europa ins Chaos stürzen wird, und einen tiefen Einblick in die Mechanismen der Beharrung. Das physikalische Trägheitsgesetz gilt auch am Hof, wo auf den Gängen die Adligen in Todesangst umherschwirren, während gleichzeitig noch immer äußerst wichtig ist, dass für die Königin eine Dahlie sc hön gestickt wird, und dass ihr nicht zu traurige oder zu frivole Bücher empfohlen werden. Im Film alles genau beobachtet von Lea Seydoux, und auf Handlungsebene nur gestört durch ein lesbisches Dreiecksverhältnis zwischen Seydoux, die die Königin liebt, und der Königin und ihrer liebsten Gespielin; was dann schließlich wiederum auf vertrackte Weise zurückführt auf dem Adel, der auf der Bevölkerung hockt und mit ihr macht, was er will.

In der dänischen königlichen Affäre, deutscher Verleihtitel „Die Königin und der Leibarzt“, nutzt Mads Mikkelsen als Dr. Struensee die Gunst der Stunde und die Gunst des Königs, um seine Ideen der Aufklärung im kleinen Dänemark unterzubringen. Pikanterweise ist er Deutscher; pikanterweise fängt er ein Verhältnis mit der Königin an. Eine Revolution von oben also, bei der der Film das Volk weitgehend ausschließt, weil sich alles im Innenblick des Hofes abspielt. Freiheit von Zensur, Leibeigenschaft, Oppression sind die Ziele von Struensee, der König schwachsinnig-kindlich, der will nur spielen – irgendwann wird ihm ein Negerbube zur Seite gestellt, damit ihm nicht so langweilig ist -, und die Königin erfährt mit Struensee, was Liebe ist. Als sie schwanger wird, ist das der Anlass für die Bösewichter am Hof, gegen den deutschen Arzt und das ganze liberale Pack, das sie ausgebootet hat, zu intrigieren, und es ist Anlass für den Film, sich völlig dem Melodram zu ergeben. Immerhin wissen wir nach diesem Film, dass die Ideen der Aufklärung ganz gut sind, und vor allem bei den Kindern gut aufgehoben.

Warum ich das alles erzähle? Auch in Berlin herrschen Zeiten des Aufruhrs, und zwar fängts am Samstag an. Berlinale auf dem Höhepunkt, Hertha gegen Dortmund, circa 5 Millionen Leute unterwegs – und U-Bahnen, Straßenbahnen und Busse werden bestreikt, von morgens um 4 bis abends um 7. Ich habe mich zwar nicht von der Thatcher-Huldigung „The Iron Lady“ indoktrinieren lassen, bin kein Gewerkschaftsfresser, wie‘s der Film aus seiner Thatchersicht propagiert; aber hallo Verdi: Das muss doch denn auch nicht sein. Ist ja mit den Bahnen sowieso schon schlimm genug, dass auf der U2 gebaut wird und ich deshalb regelmäßig meinen nächtlichen Anschluss am Alex verpasse… Naja, bald bin ich raus aus dieser Stadt, und dann geht’s wieder zu ner anständigen Zeit ins Bett.

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