Und der siebte Tag?

Ich empfinde eine paradoxe Ungeduld beim Sehen von Bela Tarrs „The Turin Horse“: beim Genuss eines Momentes schon darauf zu brennen, den nächsten zu erleben! Von Anfang an – Kunststück, er besitzt ungeheure Wucht -, fällt es mir leicht, mich einzupassen in den schleppenden Erzählrhythmus der Plansequenzen und ihn auszukosten. Voller Erwartung, dass die nächste Einstellung ebenso lang und getragen sein wird. Man schwingt sich ein in den Rhythmus von Wiederholung und Variation.

Endlich nimmt der Kraut-und-Rüben-Wettbewerb an Fahrt auf. Nach einer langen Durststrecke das Gefühl, Filme zu sehen, die wirklich in eine Hauptsektion gehören. Bisher passte nichts recht zueinander. Mit Asghar Farhadis „Nader und Simin“ war heute Morgen erstmalig ein großer Film in der Konkurrenz zu sehen. Die matte Begeisterung für Ulrich Köhlers „Schlafkrankheit“ darf nun einer echten weichen. Dieses Hochgefühl setzt sich bei Tarr fort, auf ganz andere Weise und aus ganz anderen Gründen. Eine frohe Langmut stellt sich ein. Der eigene Blick wird ausdauernder, gewährender. Wie „El Premio“ setzt sich Tarrs Film den Elementen aus, aber ungleich beharrlicher, rückhaltloser, großzügiger. Diesmal kein atmosphärischer Vorbehalt!

Eine auf kargste Abläufe reduzierte Handlung, die der Film an sechs Tagen unter veränderten Vorzeichen je neu durchläuft. Mit dem Geheimnis, dem Raunenden richtet man sich wacker ein; bald schon aus Gewohnheit. Verstehen und Begreifen müssen nicht identisch sein. Es geht auch um Erschöpfung, um das Versiegen der Ressourcen. Natürlich desertieren die Kritiker in Scharen aus der Pressevorführung. Wer wollte es ihnen verdenken? Ein solcher Film führt an den Scheideweg zwischen Verdruss oder Hingabe. Das wird seinerzeit, von Mitte der 1960er Jahre an, schon bei Miklos Jancso so gewesen sein. Man hat es damals nicht miterlebt, als zu spät Geborener.  Aber wie schön es sein kann, in der Gegenwart zu leben!

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