Retrospektive: Shanghai Express

Christoph Hochhäusler sprach  beim Retro-Talk unter anderem davon, dass es heute kein wirkliches Glamourlicht mehr geben könne, da es keine Stars mehr gebe. Dafür brauche es ein Studiosystem; und es brauche Leute, die sich der Prozedur der Star-Werdung unterziehen. Wozu unter anderem gehörten: neues Aussehen, neuer Name, neue Verhaltensweisen, neue (fiktive) Biographie – eine komplette Neuerfindung, was ja keiner auf sich nehmen möchte.

In der Retrospektive sind Filme zu sehen, die Stars machten: Etwa Greta Garbo unter Clarence Brown. Oder Marlene Dietrich unter Josef von Sternberg, zum Beispiel in „Shanghai Express“ von 1932. Da sehen wir die Dietrich in schönstem Licht – wiewohl ihre Beine wenig Beachtung finden, verglichen etwa mit „Die Frau, nach der man sich sehnt“ oder „Der blaue Engel“… Und wenn sie zu Anfang aus dem Auto steigt, am Bahnhof ihre Fahrkarte vorzeigt – dann schenkt Sternberg ihr zwar eine Großaufnahme, aber für Glamour ist im Bahnsteigtrubel noch keine Zeit. Erst wenn der Zug losgefahren ist und wegen einer auf den Gleisen stehenden Kuh aufgehalten wird: Dann erlebt man sie voll und ganz mit ihrem süffisant-ironischen Lächeln, mit provozierend langsamer Redeweise, mit Augenaufschlag hinter Schleier, mit Gitterschatten überm Gesicht. Später, viel später ein schönes Bild: Betend im Halbschatten, das hat etwas Heiliges. Und kurz darauf der sehnsüchtige Blick nach oben, mit einem Licht, das betörende Schatten unter die Wangenknochen legt…

Dietrichs Figur hat ihren Namen geändert, aber nicht wegen Heirat: „It took more than one man to change it to – Shanghai Lily“, erklärt sie, und die Gesellschaft der Ersten Klasse im Express Peking-Shanghai empfindet gerechte Empörung: Unmoralischer Lebenswandel!!! Da ist die snobistische Lady mit ihrem Hündchen, der gottesfürchtige Reverend, der hypochondrische Deutsche, der ordensbehängte französische Major – mehr oder weniger verfallen sie gerne in Rassismus und Heuchelei und Selbstgerechtigkeit, wenn es um das Seelenheil von Shanghai Lily und der ebenfalls mutmaßlich dem lockeren Lebenswandel nahestehenden Chinesin im selben Abteil geht, die vom Grammophon Jazz hören.

Da sind auch der britische Offizier Donald Harvey und der Halbchinese Henry Chang; letzterer gespielt von Warner Oland, gestählt durch Rollen als Fu-Man-Chu-Schurke und als Charlie-Chan-Detektiv. Wir befinden uns mitten im chinesischen Bürgerkrieg, und als ein Spion verhaftet wird, kapern die Rebellen den Zug. Harvey wird zur Geisel, die Dietrich soll zur Mätresse werden – Kommandant der Revolutionsarmee ist nämlich niemand anderer als Chang, der schon lange ein Auge auf die Marlene geworfen hat. Dumm, dass die Harvey von früher kennt und ihn noch immer liebt… Und dass Harvey sie beschützt… Und dass dieser deshalb sein Augenlicht verlieren soll (und damit seine Dietrich niemals wieder im schönen GLoriolenschein zu sehen bekommen würde!)… und dass die Dietrich daraufhin einwilligt, mit Chang zu gehen… Der geile Bock steht zwischen der reinen Liebe des Offiziers und der Shanghai-Lily, die angesichts des Herrn Gentleman ihren Lebenswandel von sich schüttelt wie Schuppen aus den Haaren…

Hört sich nach Schmonzes an. Ist aber sehr elegant und ökonomisch auf den Punkt hin inszeniert; und zudem gefüllt von schönen Nebenblicken auf die Mitpassagiere, auf ihre Ansichten des großen melodramatischen Konflikts… Der löst sich eigentlich recht unspektaktulär im Höhepunkt des Films; der dann noch zehn Minuten Zeit hat, um das moralische Missverständnis zwischen Harvey und Lily aufzubauen und schließlich zu lösen. Und der dabei gottseidank nicht den Fehler begeht, aus Shanghai Lily jemals eine Bittstellerin zu machen. Marlene läuft keinem nach. Marlene wirkt.

 

Harald Mühlbeyer

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