Retrospektive: Flesh and the Devil

“Flesh and the Devil” von Clarence Brown, 1926: Sofort sind wir entführt in ein wunderliches Fantasie-K.u.K.-Reich – so, wie es fast 90 Jahre später Wes Anderson im „Grand Budapest“-Hotel wieder vorführen wird. Ortschaften wie Schwarzburgsondernhausen tauchen auf, in der Kaserne wird geweckt mit dem freundlichen Morgenruf „Raus mit euch – Schweinehunde!“ (deutsch im Original), und Offiziersanwärter Leo von Harden, der verbotenerweise außerhalb übernachtet hat, wird sicherlich ein „Himmelherrgottheilandsdonnerwetter“ bekommen.

Tatsächlich nicht nur Anderson, sondern gleich drei Wettbewerbsfilme vereint „Flesh and the Devil“ in sich, und zwar die besten: Dietrich Brüggemanns „Kreuzweg“ – steckt das nicht drin in dem ständig beobachtenden Pastor, der das unwürdige Treiben des von Harden gleich mal improvisierend in seine Sonntagspredigt einbaut, mit dem Zorn Gottes gegen David, der Uriah töten ließ, um dessen Frau zu besitzen, eine Sünde, dass es zum Himmel stinkt? Und Lars von Triers moralphilosophischer Sexualdiskurs „Nymphomaniac“: Das ist doch die Greta Garbo, die als Felicitas von Rhaden ein, sagen wir es offen, Luder spielt. Ja: Sogar bis ins Detail gehen die Parallelen: Das Aufräumen des Schreibtisches des Mannes, den frau liebt, kommt eins zu eins in beiden Filmen vor.

Greta Garbo: Wenn sie erstmals auftaucht, geht ein Strahlen von ihr aus, das nicht nur für uns Zuschauer spürbar ist, das auch Leo von Harden ganz verzaubert. Die Liebe bricht aus – und führt zum Tod. Zum Tod von Felicitas‘ Mann nämlich, den sie wohlweislich verschwiegen hat, ist Leo trotz kleinerer Hallodrihaftigkeiten vor allem ein Ehrenmann. Bis zu diesem Zeitpunkt verbreitet der Film einige Späße, etwa mit dem Pastor, der nach einem Bier doppelt zu sehen glaubt – und erst später merkt, dass er Zwillingen ansieht. Ein kleiner harmloser Scherz, haha, volkstümlich und nett, den Brown wie einige andere Gags allerdings zu weit ausbaut, als dass er pointiert zu nennen wäre. Schließlich ist der Film ja ein Melodram, und dafür ist Brown dann wieder voll zuständig: Weil er diesen Film kräftig dazu nutzt, die Garbo als Star aufzubauen. Durch die, sie erraten es durch das Thema der Retrospektive, durch die Beleuchtung. Fabienne Liptay hat das sehr genau beobachtet und beschrieben in ihrem Essay zur Retro-Buchpublikation, und ja, auch ich als Beleuchtungslaie bin verzaubert von dem überirdischen Licht, das er und Kameramann William Daniels den Großaufnahmen angedeihen lassen.

Insbesondere in dieser berühmten Szene, als Leo (John Gilbert) von Felicitas (Garbo) eine Zigarette in den Mund gesteckt bekommt, die er anzündet – das Leuchten, das aus seiner hohlen Hand auf ihr Gesicht fällt (ein versteckter Scheinwerfer!), die Augen, der Mund und die Erotik des Rauchens… Gottseidank bläst sie das Streichholz (sprich: den Scheinwerfer) aus, sonst wäre es noch unzüchtiger geworden!

Und später dann: Da ist Leo geflohen, weil er beim Duell gesiegt hat gegen den Ehemann; und sein Freund Ulrich (der nichts von der Liebeseskapade weiß) wird von der Garbo wieder mit einer Zigarette verführt! Er stellt sich zwar ungeschickt an, aber Feli ist nicht so wählerisch, Mann ist Mann. Als Leo zurückkehrt, drei Jahre später, sind seine große Liebe Feli und sein bester Freund Uli verheiratet, und das Schicksal nimmt seinen Lauf. Ein Diskurs über die Moral, falsche Liebe zerstört echte Freundschaft, und nebenbei läuft auch noch Ulrichs Schwester hoffnungsvoll daher, die so sehr die Beachtung Leos wünscht…

Wobei Clarence Brown seinem Film ein überraschendes Ende verpasst. Und das ist nicht positiv gemeint. Ein derart aufgeklatschtes und unmotiviertes Happy End muss man erstmal finden in der Filmgeschichte. Und es finden sich die richtigen. Denn wenn ein Bund geschlossen wird, dann wird er nicht gebrochen – in diesem Fall eigentlich eine Homo-Ehe, haben sich doch Uli und Leo einstmals, als Kinder schon, per Blutsbrüderschaft ewige Treue geschworen, und zwar tatsächlich, laut Untertitel, „in guten wie in schlechten Zeiten, in Leben und in Tod.“

 

Harald Mühlbeyer

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