Retrospektive: The Iron Mask

Was für ein Riesenspaß. Douglas Fairbanks gibt persönlich eine kleine gesprochene Einführung, in Heldenpose auf einer Theaterbühne, komplett mit Mantel und Degen – eine Einladung in die Gute Alte Zeit, „come on!“, zu den Musketieren – und zurück in die Stummfilmzeit, „The Iron Mask“ stammt aus dem Jahr 1929, Fairbanks letztes silent picture; hinter der ironischen Fassade des überzogenen Heldentums, die schon in dieser kleinen, nachgedrehten Einführung zutage tritt, ist auch ein bisschen Wehmut zu spüren, dass eine Epoche der Filmgeschichte zuende gegangen ist.

Und dann fängt es an, und Fairbanks‘ erster Auftritt sagt schon alles über den Ton der Erzählung: Was für ein lustvolles Chargieren, wie sein d’Artagnan sich gefällt in seinem legendären Ruhm, und was für einen Spaß Fairbanks bei der Darstellung hatte! Für ein Mädchen stellt er sich in Pose, um dann aber im Überschwang versehentlich die Hausmagd zu umarmen – während im Hintergrund des Studiokulissenstädtchens aus einem Fenster Wasser auf schimpfende Passanten gegossen wird. Dann die Suche nach einem stillen Plätzchen für den Kuss zweier Liebenden – bei denen es sich Fairbanks nicht nehmen lässt, einen kleinen Stunt mit einem Stuhl zu vollziehen und schwungvoll über eine Mauer zu setzen. Doch überall guckt von irgendeiner Seite jemand zu, wie er sein Mädel so richtig abbusseln möchte… bis eine gnädige Frau ihnen einen Korb überstülpt, unter dem es zur Sache geht. Das zeigen die Arme des Mädchens, die ihn umschlingen, die dann erschlaffen und schließlich erzittern… das ist fast schon unanständig.

Fairbanks, auch Produzent, erzählt lustvoll die Geschichte um Ludwig XIV., der ja bekanntlich einen bösen Zwilling hatte – nach dem Roman von Alexandre Dumas und, ausweislich des Vorspanns, nach den Erinnerungen von Kardinal Richelieu, vom Grafen Rocheford und von d’Artagnan persönlich. Denn authentisch will der Film auf jeden Fall sein, für die historische Genauigkeit von Ausstattung und Kostüm bürgt ein Herr mit genuin französischem Namen, Maurice Leloir. 1921 nämlich wurde Fairbanks‘ „Drei Musketiere“-Verfilmung in Frankreich verboten, wegen zu vieler historischer Fehler (und weil die Franzosen einen eigenen Film auf dem Markt hatten) – eine Information, die der Filmhistoriker Kevin Brownlow in seiner amüsanten, informativen Einführung gab.

Und so nimmt das Schicksal seinen Lauf: Der Königin wird nach dem offiziellen Thronfolger ein zweites Kind geboren, von dem niemand weiß; eine Information, die in falsche Hände gerät, weil sich Rochefort als der totale Bösewicht entpuppt; man sieht es an seinem von einer hässlichen Narbe entstellten Gesicht. Überhaupt sehen alle aus, wie man sich Figuren einer Dumas-Verfilmung vorstellt; sprich: viel besser als in dem letzten großen 3D-Abenteuer von Paul W.S. Anderson. Und sie machen das, was man von ihnen erwartet: Sie intrigieren und kämpfen, sie spielen Streiche und vollführen prächtigste Stunts. Denn der geheime Zwilling wird in Spanien aufgezogen, die Mitwisserin – d’Artagnans Gespielin vom Anfang – von Lady DeWinter heimtückisch ermordet, und Richelieu, der radikale Diener der Staatsräson, trennt die vier Unzertrennlichen, die gerade mal noch „Un pour tous, tous pour un“ in eine Baumrinde ritzen können. Davor haben sie gemeinsam ein Nonnenkloster gestürmt, Fairbanks ist ruckzuck einen Baum hochgekraxelt und ist von dort zweieinhalb Meter auf einen Fenstersims gesprungen; wir haben eine große Degenschlacht erlebt, die etwas kurz ausfiel, weil die Musketiere nicht beteiligt waren. Und jetzt ein kleiner Einschnitt, denn wieder spricht Fairbanks, gibt einen kleinen nachgedrehten Ton-Push, um den folgenden Zeitsprung zu überbrücken.

D’Artagnan ist nun, 20 Jahre nach der Trennung der Musketierfreunde und nach Richelieus Tod, Freund und Beschützer des jungen Königs; dessen Zwilling aber wurde in den Händen Rocheforts zu einem bösen hinterhältigen Schurken erzogen. Und eine fiese Intrige wird ausgespielt: Der gute König soll durch den bösen ersetzt werden (wozu Rochefort und seine Mannen nach dem vielleicht passendsten Zwischentitel der Stummfilmgechichte: „Geheimnisse, Geheimgänge, Übeltäterei“, in die Schlafkammer des Königs eindringt). Dazwischen gibt es hochwitzige Szenen, wenn Fairbanks sein Erinnerungs-Gesicht aufsetzt, an die Decke blickt und wir zurückblenden in die glorreichen Zeiten, als er, Athos, Porthos und Aramis sich nur einmal geschlagen geben mussten, weil gegen 50 wilde Weiber kein Degen der Welt hilft…

Eine wirkliche richtige total tolle Degenschlacht erleben wir, als die vier wiedervereinigten Musketiere ins Gefängnis eindringen, wo der gute König mit einer eisernen Maske auf dem Haupte sein Dasein fristet – während im Palast sich die Schurken besonders auf die Königinmutter konzentrieren, die ja die einzige Zeugin ist für die Existenz eines Zwillings… Ja, es wird spannend! Schnell ins Schloss, doch einer der Freunde nach dem anderen muss sein Leben lassen, „for the glory of France“.

Das Ende vom Lied sieht die vier dann doch wiedervereint, mit einem lachenden und einem wehmütigen Auge blicken sie zurück auf das, was hinter ihnen liegt: Auf ein herausragendes Entertainmentprodukt: Douglas Fairbanks at his best.

 

Harald Mühlbeyer

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