Berlinale 2014 – Vorausschau aufs Retrospektive

Ich will ehrlich sein: Ich habe keine Ahnung, ob irgendwann irgendjemand diesen Beitrag lesen wird, weil von der epd-Film-Homepage (zumindest bisher) noch kein Hinweis auf diese erneute Auflage des Berlinale-Blogs zu finden ist. Mir wurde zumindest geboten, hier zu schreiben…

Ich will nochmals ehrlich sein: Beim Filmsehen liegt mein Fokus nicht auf der Lichtsetzung. Klar erkenne ich Stimmungen – meinen genauen Blick zur genauen Analyse wende ich aber auf andere Bereiche des an Wahrnehmungsaspekten ja so reichen filmischen Mediums. Ist das schlimm? Ist das ein Hindernis bei der Betrachtung von Filmen, die speziell in dieser Hinsicht ausgesucht wurden, die speziell darauf hinwirken sollen, hinzusehen, woher mit welcher Wirkung und warum und wie welche Art von Beleuchtung zu welchem Zwecke eingesetzt wurde? Bin ich als Ihr Führer ins Reich von Licht und Schatten nicht verpflichtet, ein übergroßes Expertentum erworben zu haben, um die Filme der Retrospektive der diesjährigen Berlinale angemessen würdigen und beurteilen zu können.

Nein, natürlich nicht. Man kann ja auch einfach mal sehen, was kommt. Und das dann Ihnen, werte Leserinnen und Leser (so es Sie gibt), empfehlenderweise angedeihen lassen.

Nochmals möchte ich ehrlich sein. Die erste Ankündigung der Retrospektive titels “Ästhetik der Schatten. Filmisches Licht 1915-1950″ ließ mich ratlos zurück. Verwirrenderweise scheint der Ausgangspunkt der Überlegungen zur Konzeption der Reihe ausgegangen zu sein von einem 2013 erschienenen Buches “The Aesthetics of Shadow. Lighting ans Japanese Cinema” von Daisuke Miyao, japanischer Professor an der Universität von Oregon. Davon lieh man sich nicht nur den Titel, sondern auch das Thema, das um Beispiele insbesondere aus USA und Deutschland erweitert und bereichert wurde, um – ja was?

Vermutlich, um deutlich zu machen, wie ähnlich sich bei aller kulturellen Verschiedenheit Beleuchtungsinszenierungen waren in einer Zeit, als sich die Gestaltung des Films über das Führen der Schauspieler und das Hinstellen von Requisiten hinweg entwickelt hat – als sich also das filmsche Erzählen mit allen Mitteln der filmischen Möglichkeiten (schließlich kam Ende der 1920er auch noch der Ton dazu) ausformte. Doch langsam freundete ich mich an mit dem Thema der Retrospektive – auch wenn der Verdacht, dass die Kuratoren wieder einmal (wie im letzten Jahr) einige Beiträge vor allem aussuchten, weil sie einen Lieblingsfilm mal wieder auf der Leinwand sehen wollen. Was im Übrigen keine schlechte Motivation für das Zusammenstellen einer Retrospektive ist,

Nein: Der Beitrag von Norbert Grob im aktuellen epd-Film-Heft ist durchaus erhellend (da wollen wir doch mal ein bisschen cross-marketing betreiben); und vor allem: Es gibt, im Gegensatz zum letzten Jahr, diesmal einen offizielle Publikation zur Retro, herausgegeben von den Kuratoren der Deutschen Kinemathek.

Ästhetik der Schatten. Filmisches Licht 1915-1950, jetzt im Schüren-Verlag erschienen, ist deshalb eine lohnende Lektüre, weil nie speziell auf die Filme der Retro eingegangen wird, sondern das Thema selbst angegangen wird, von verschiedenen Seiten und mit viel mehr Filmen, als hier gezeigt werden (können). Da liest man dann vergnügt Kevin Brownlows Erinnerungen an diverse Interviews, die er vor Jahrzehnten mit den damals noch lebenden Kameramännern und Regisseuren der Filme geführt hat, die hier zum Teil zu sehen sind. Und seine Innensicht auf die Methoden Josef von Sternbergs werden ergänzt vom Außenblick Fabienne Liptays, die speziell auf die Beleuchtungsstrategien eingeht, die für die Stars Greta Garbo und Marlene Dietrich designt wurden, als Markenzeichen. Dazu erfährt man von Daisuke Miyao (auf dessen Buch die Retro ja gründet) eine kurze Geschichte des Lichts im japanischen Film bis in die 1930er, inklusive den verschiedenen Stilen verschiedener Studios. Und, etwas ganz anderes: Ralf Forster betrachtet die technischen Fortschritte, etwa in der Entwicklung von Lampen, die in den 1920ern zu neuen Möglichkeiten der Lichtgestaltung führten.

Ob ich nun all dies noch im Kopf haben werde, wenn ich einige der Filme dann sehen werde? Ich will ehrlich sein: Vielleicht schreibe ich was ganz anderes zu diesen alten Schinken – von denen ich aber auf jeden Fall die berechtigte Hoffnung habe, dass sie sich lohnen. Mehr vermutlich als so mancher der aktuellen Filme im aktuellen Programm. Denn wenn die Retro-Filme uninteressant wären – warum sollte man sie dann nochmal zeigen?

Harald Mühlbeyer

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