Retrospektive: Tsuruhachi Tsurujiro

Japanischer Film ist nicht leicht; nämlich dann, wenn er ganz im eigenen Kulturkreis schwelgt, in einem ganz eigenen Milieu, das man so richtig nicht verstehen kann hier im Westen. “Tsuruhachi Tsurujiro” von Mikio Naruse aus dem Jahr 1938 spielt in den Vergnügungstheatern, in denen shinnai-Sänger mit ihren samisen-Begleiterinnen große Stars waren. Heißt: Die beiden sitzen auf der Bühne, er singt langgezogene Falsetttöne, die für unsere Ohren eher unheimlich klingen, während sie ihn mit einer dreisaitigen Laute begleitet, nicht in Akkorden, nicht richtig gezupft, sondern mit so einer Art Geklimper. Man darf nicht vergessen: Wir befinden uns im imperialen Japan der 1930er, als die gute Tradition hochgehalten, wiederbelebt und erneuert wurde, als das wahre und echte japanische kulturelle Brauchtum hoch im Kurs stand. Verkompliziert wird die Sache noch, weil die beiden Musiker, um die es geht, die Namen Tsuruhachi (sie) und Tsurujiro (er) tragen, aber auch Otoyo und Jiro genannt werden.

Sieht man aber von dieser Oberfläche der merkwürdigen Form japanischer Unterhaltungsform ab, stößt man auf die seltsame Stimmung des Films. Der nämlich eine Art Liebeskomödie erzählt, in der die offensichtliche Zuneigung zwischen den beiden stets per Streit ausgetragen wird, hinter der Bühne: Du spielst schlecht! Das klingt nicht so wie bei deiner Mutter! – Ich habe eben meinen eigenen Stil! – Aber du musst machen, was ich will, du bist nur meine Unterstützung! – Ich spiele nie mehr mit dir! – Wie du willst! Kindische Zankereien, die gänzlich unterspielt werden, aber eben doch gewisse Sorgen auslösen bei Agenten, Theatermanagern und Freunden. Eigentlich sollten die beiden heiraten, ist der allgemeine Konsens. Und zack, in der nächsten Szene sind sie versöhnt, glücklich, liebevoll – bis sie sich wieder streiten. Immer wieder raufen sie sich zusammen, um dann wieder zusammen zu raufen…

Auf sehr interessante Weise lässt Mikio Naruse das Pendel der Emotion zwischen Liebe und Hass ausschlagen, immer ins jeweilige Extrem; das ist amüsant, und zugleich hat man stets einen tragischen Unterton der Fragilität dieser Beziehung. Kunst oder Stolz? Kunst oder Liebe? Kunst oder Privatfehde? Was auf der Bühne so harmoniert, traut sich jenseits des Auftritts nie, sich zu offenbaren, und immer mehr drängen sich die beiden in die Ecke, aus der sie nicht mehr herauskönnen. Bis Tsuruhachi tatsächlich die zweitbeste Option zieht und einen Verehrer heiratet… Und das, was bisher recht komödiantisch ausgehandelt wurde, umschlägt ins Melodram.

Und die Beleuchtung wird düster, voller Schatten, wo zuvor meist fröhliche Helligkeit herrschte. Selbst im Theater sind die Zuschauerränge voll ausgeleuchtet; in den Häusern sorgen die Papierwände ohnehin für einen hellen Hintergrund. Und ein Erholungsurlaub für die beiden, eingefädelt als freundliche Verkupplungsintrige durch ihre Freunde, sorgt mit seiner lichten Stimmung ohnehin für das längst fällige Liebesgeständnis und das Versprechen der Heirat – bis natürlich auch dies alsbald wieder zurückgenommen wird.

Unversehens jedenfalls befinden wir uns auf dem Weg in ein unhappy end. Wobei die Handlung den Standards des Künstlerfilms folgt, sie ist glücklich, hat aber den Auftritten versagt, er ist ohne die Partnerin nicht mal halb so viel Wert, versinkt im Morast von kleinen Theatern mit wenigen Zuschauern und im Suff. Ein unglaublich tolles Bild findet der Regisseur dafür: Ein paar Kinder spielen bei einem Rinnsal mit Papierschiffchen – und erschüttert muss der ehemalige Star Tsurujiro erkennen, dass sie ihr Bastelpapier von einem seiner Plakate abreißen. (Schon vorher gab es einen großen Moment der Inszenierung, nach dem ersten Streit verlassen beide gemeinsam, aber innerlich getrennt das Theater, laufen stumm den anderen ignorierend nebeneinander her, um dann nach einem genervten Blickwechsel doch nicht denselben Weg einzuschlagen, sondern voneinander zu scheiden). Schließlich kommt es doch zur Reunion der beiden Stars, die nur gemeinsam können – und wenn es nun wieder Streit gibt – geht das Spiel wieder von vorne los?

Interessant ist der Hauptdarsteller Kazuo Hasegawa, der einer der größten Stars des japanischen Kinos überhaupt war. Bis 1937 unter dem Namen Chojiro Hayashi Schwarm aller Frauen mit seiner ganz speziellen Blicktechnik ins Filmpublikum, unterstützt von einer ganz bestimmten Beleuchtungsart, die Daisuke Miyao sehr anschaulich im Buch zur Retrospektive Ästhetik der Schatten schildert. Und der dann von einem Unbekannten mit einem Messer attackiert wurde: Seine linke Gesichtshälfte, die “schöne” Seite, war nun von Narben verunziert. Er wechselten Namen und Image, spielte fortan immer wieder im Schatten, was den Glamourfaktor verringerte, aber den Filmen und seinen Figuren eine gewisse optische Tiefe verlieh. In “Tsuruhachi Tsurujiro” sind die Narben sichtbar – werden aber durch das flächige “komödiantische” Licht ausgeglichen, später durch die dunkleren Melodramtönungen nahezu verborgen.

Harald Mühlbeyer

 

Dieser Beitrag wurde unter Berlinale 2014 abgelegt und mit , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.