Raue Männer auf rauer See – “Mollenard”

“Mollenard”, 1938, spielt in Dünkirchen und Shanghai. In Dünkirchen: Da sind Ehefrau, die beiden Kinder, die Reederei. In Shanghai: Da ist die Mannschaft, dort ist Kapitän Mollenard wie zuhause. Da hat er seine Freiheit, da hat er das Sagen, da ist sein Revier.
Mollenard ist Seemann durch und durch. Mollenard ist unerträglich für die meisten Menschen, weil er die meisten Menschen unerträglich findet. Mollenard ist Waffenschmuggler, er hintergeht ganz offen und provokant seine Reederei. Mollenard hat seine eigenen Werte: Seine Männer zuerst, dann lange nichts, dann ein kräftiges “Leckt mich am Arsch”. Mollenard hält viel auf Ehre, auf Anstand, auf Loyalität, auf Tat- und Manneskraft. Er hält aber wenig von den Bürokraten, der Bürgerlichkeit, von den Korinthenkackern und Lackaffen. Mollenard ist ein einsamer Wolf, der sein Rudel führt.
Mollenard ist fett, verschwitzt, unrasiert, mit Zigarrenstummel im Mund, ohne Manieren, raubeinig, ungehobelt, auch mal brutal. Er wirkt behäbig, doch wie er die Treppe runtersaust, flink übers Geländer flankt… Mollenard ist – Mollenard.

Mollenard ist nichts gelegen an seinem Ruf, der eh ruiniert ist. Um seine Schmuggelfracht zu schützen, muss er Zeit gewinnen, lässt den Inspektor warten vor seiner Kajüte, in der ein chinesisches Mädchen lustvoll quiekt: Ein vorgeschobenes Schäferstündchen als Vorwand, um hinterrücks die Waffen zu entladen. Eine Szene, wie sie tatsächlich nur in keinem deutschen Film dieser Zeit vorgekommen wäre; denn der Film billigt, was Mollenard treibt.

Robert Siodmak führt Regie, Eugen Schüfftan die Kamera: Ein düsteres Thrillerabenteuer in Shanghai, schwierigen Verhandlungen mit dem Waffenhehler, Tote, ein feiger, charakterschwacher Verräter, Fallenstell-Versuche, mit Tricks und Gegentricks: Ein Abenteuer-Noir, der atmosphärisch an Welles’ “Lady von Shanghai” erinnert. Und der dann, unversehens, nach einer Seenotkatastrophe, zum Ehedrama wird.

Die Ehefrau: Hartherzig, verbittert, vom Leben und der Liebe enttäuscht, bedacht auf ihr Ansehen und auf ihre Familie – außer Ehemann Mollenard, versteht sich. Zu ihr kehrt Mollenard zurück, zwangsweise, nach der Rettung vom Schiffbruch ist er ein Held – und hat es mit der Reederei völlig vergrätzt, durch öffentlich gezeigte Verachtung für Gesellschaft und für die Familie. Ein ganz neuer Film beginnt, der manchmal fast zum Ehewitz à la Büttenrede tendiert – ein makabrer Humor, der das Drama umso schlimmer macht.
Siodmak gelingt es, diesen Unhold, diesen Grobian sympathisch zu zeichnen, indem ganz aus seiner Sicht alles Bürgerliche unerträglich wirkt. Mollenard hat nur eine Furcht: Zuhause krank zu werden, zuhause zu sterben. Und Mollenard erleidet einen Herzanfall…

Das böse Lächeln seiner Frau, wenn sie sich um ihn kümmert, um den Hilflosen, der zuvor so sehr der starke Mann war: Dieses Lächeln muss man sehen, um die ganze Bürde zu begreifen, die Mollenard an Land aufgelastet wird, die er nur auf See loswerden kann. Ein Lächeln, geboren aus jahrelangem Leiden in einem falschen Leben, das Lächeln einer Frau, die nun einmal die Oberhand hat. Und der Mollenard auf alle Fälle entkommen muss…

“Mollenard” ist einer der Exilantenfilme; Siodmak und Schüfftan kommen von Weimarer Themen und Motiven wie Auseinandersetzung mit dem Bürgerlichen (“Der letzte Mann”, “Der blaue Engel”), Exotik, Abenteuer, Seefahrt (“Bomben auf Monte Carlo”, “F.P.1 antwortet nicht”) und Proto-Noir (“Voruntersuchung”, “Der weiße Dämon”): ein atmosphärisch dichtes Drama, das vorausweist auf das US-Kino der 40er. Ein faszierendes Porträt, düster und ergreifend, wie man es sich wünschen kann.

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