Biologie-Weirdness

Gerhard Midding schildert umfassend die Zoologie, die die Berlinale durchsickert (und das ohne traditionelles Zoo-Palast-Kino!); und auffällig ist tatsächlich die Menge an Seltsamkeit, die das filmische Tierleben aufweist; in “Tabu” oder “Postcards from the Zoo” ist nie ganz klar, was Metapher, was Absurdität und was ganz einfach Quatsch ist; ein Film mit Giraffenobsession? Das hat schon was; irgendwas.

Das sind jedenfalls Filme, die man eher im Forum vermuten sollte; überhaupt ist die Forumisierung des Wettbewerbs in den letzten Jahren auffällig, da geht es um neue Erzählformen, um radikales Kino, um Brüche und ästhetische Provokation. Das ist ja nicht zu beanstanden, wenn filmisch Herausforderungen durch den Wettbewerb geadelt werden, doch diese Kinorichtung ist denn doch zu gewichtig geworden, während “konsumierbarere” Filme (die keinesfalls dümmer oder leichtgewichtiger sein müssen) entweder außer Konkurrenz oder im Berlinale Special laufen.

Im Forum wiederum wechselt “Koi no itaru yamai” / “End of Puberty” von Kimura Shoko von der seltsamen Zoologie zur bizarren Biologie, zu Mr. Madoka, Bio-Lehrer und Schwarm von Tsubura, die ihn anhimmelt, studiert und sich mit ihm paaren will. Das tut sie, und schwups, erfüllen sich ihre Träume, anschaulich aufgezeichnet in ihrem Biobuch: die beiden tauschen ihre Geschlechtsteile, und so sind werden sie zeitlebens aneinandergebunden sein, reut sich Tsubura. Madoka ist entsetzt, entführt sie, ihre Freundin und deren Möchtegernliebhaber kommen dazu, und es kommt zu einigen sehr witzigen Szenen, die vor allem durch ihr Timing gefallen. Dass Tsubura Angst hat, nach ihrem Tod zu verwesen und vergessen zu werden, dass sie deshalb nur künstliche Nahrungsmittel, sprich: Konservierungsstoffe isst; dass Madoka ein Faible für Käfer hat und beim Flower Beetle förmlich aufblüht – wie er sich in die Blüte hineintaucht! – sind nur zwei Nebenhandlungen, die den Film zwar nicht dichter machen, aber auch der Gefahr der Eintönigkeit begegnen; denn mehr als die Idee des Geschlechtsteiltausch hat der Film denn auch nicht zu bieten.

Immerhin ist er eine Lektion in Henri Bergson, der in Einengung, aber auch Konkretisierung von Schopenhauers Komik-Definition der plötzlich erkennbaren Unangemessenheit das Lachen auf die Erkenntnis des Mechanischen im Organischen und umgekehrt zurückführt. In “End of Puberty” läuft alles Mechanisch, interessant vor allem im Biologie-Umfeld, das der Film absteckt. Der Würgreiz des Lehrers, wenn er an Tsubura mit “seinem” Teil zwischen den Beinen denkt, sein berechenbares Verhalten im sich steigernden Zustand der Verwirrung (Kinn kratzen, Haare raufen, Nägel kauen), die aufdringlichen Annäherungen ihrerseits, das Vor und Zurück, das Hin und Her der Körper, die Wiederholungen im Anziehen und Abstoßen, das Immergleiche in immer wieder neuer Varianz: Das ist komisch, und es ist eine gelungene Choreographie, der man nur etwas mehr Dichte, mehr Prägnanz wünschen würde. Das weiß auch die Regisseurin: Dies ist mein erster Film, sagte sie, er ist vielleicht an einigen Stellen noch etwas rough.

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Eine Antwort auf Biologie-Weirdness

  1. gerhard.midding sagt:

    Ein zoologischer Nachtrag: Die Tierwelt hat den Wettbewerb auch weiterhin fest im Griff. In Bence (nannte der sich nicht früher mal Benedikt?) Fliegaufs “Csak a szél” (Just the Wind) wird ein totes Schwein überraschend pietätvoll begraben und in Matthias Glasners “Gnade” wird ein argloser Hund dann doch nicht erschossen.

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