Menagerie

Den aktuellen Bestrebungen, Cinéphilie und Tierliebe enger zu verknüpfen, kann ich mich nicht vollen Herzens anschließen. Das Kino scheint mir nur bedingt ein artgerechtes Medium für die Tierwelt zu sein. Es gebricht mir wohl an der nötigen Einfühlsamkeit. Ich muss gestehen, dass der Tod von Bambis Mutter mir kein nachhaltiges Trauma beschert hat – im Zweifelsfalle vergieße ich meine Tränen doch lieber angesichts menschlicher Tragödien. Gleichwohl erfüllt es mich mit Respekt, wenn ein Tier seine Rolle meistert. Als Western-Fan habe ich gegen Pferde natürlich überhaupt nichts einzuwenden. Die renitenten Nashörner in „Hatari!“ mag ich nicht missen. Und natürlich weiß ich zu schätzen, welch großartige Gefährten treue Katzen einst den einsamen Helden des New Hollywood waren, von Altmans Philip Marlowe bis zu Paul Mazurskys Harry. Es hat mich auch sehr bewegt, wie sich Nénette vor einem Jahr im Forum der Kamera Nicholas Philiberts gestellt hat. Die Fauna ist oftmals ja ein zuverlässiger Indikator für die Güte eines Films – das melancholische Krokodil in Miguel Gomes‘ „Tabu“ stellt da zweifellos einen großen Fortschritt gegenüber dem ratlosen Flusspferd in Ulrich Köhlers letztjähriger „Schlafkrankheit“ dar.

Dennoch stellt mich Edwins „Kebun Binatang“ (Postcards from the Zoo) vor beträchtliche Probleme. Namen des Regisseurs an: Die Komplizenschaft der verwaisten Heldin mit ihren tierischen Schicksalsgenossen – dem Tiger, dem das Hühnerfleisch nicht mehr schmeckt; der unbestreitbar eleganten Giraffe -, konnte ich ein Stück weit nachvollziehen. Tatsächlich fand ich es sogar reichlich empörend, dass der Film seinen Schauplatz im zweiten Teil so achtlos verlässt. Es erschien mir, als würde er damit die Zärtlichkeit seines Blicks ohne Not revidieren: Soll diese Menagerie für ihn am Ende nur eine Metapher gewesen sein und es ihm eigentlich nur darum gegangen sein, die menschliche Existenz als eine darzustellen, die sich in einem Gehege erfüllt? Immerhin besaß er den Anstand, den erfreulich haptischen Gestus nach dieser Wendung beizubehalten – es verschlägt die Heldin in einen Massagesalon, in dem sie nun mit Menschen auf Tuchfühlung geht -, aber er hätte doch gut daran getan, seinen tierischen Protagonisten etwas mehr als Subjekte zu betrachten. Andererseits: Was soll man von einem Regisseur erwarten, der glaubt, ohne Nachnamen auszukommen? Das klingt doch immer etwas nach voreiligem Nonkonformismus. Filme sollten originell sein, nicht die Pseudonyme ihrer Macher. Bei dem Japaner Sabu mag man noch Nachsicht walten lassen. Mit „Monday“, vor allem aber mit „The Blessing Bell“ hat er sich ein gewisses Anrecht auf derlei Koketterie verdient.

Der zweite Wettbewerbsbeitrag am Mittwoch schloss allerdings schön an das Motiv des Animalischen an. Auch Wang Quan’ans „Bai lu yuan“ (White Deer Plain) führt den Zuschauer in ein Bestiarium. Er wirft so erschreckende wie amüsante Schlaglichter auf die Kreatürlichkeit des Menschen. Die Exkrementalfunktionen geraten in den Dialogen zu einem kuriosen und arg missverständlichen erotischen Fetisch. „Das war nur als Metapher gemeint!“ entrüstet sich ein Freier, als ihn seine Gespielin tatsächlich mit dem Geschmack ihres Urins beglücken will. Manchmal antworten Wettbewerbsfilme unverhofft direkt aufeinander.

Natürlich sollte man sich Wang Quan’ans Film auf weniger frivole Weise nähern. Er spielt in jener schreckensreichen Zwischenzeit der chinesischen Geschichte, als das Land von Warlords verwüstet wurde, nachdem der letzte Kaiser abdanken musste. Die darauf folgende, brutale Machtergreifung, das ist gewiss eine Entlastung für den Regisseur, braucht er nicht mehr zeigen. Merkwürdig, wie dieser Film von Umbrüchen aus einer Perspektive der Kontinuität erzählt. Er versenkt seinen Blick ausschweifend in die wogenden Weizenfelder, denen es gleich sein kann, welches Regime an der Macht ist. Im Kern handelt er von etwas, dass dem Kino oft aus den Augen gerät, weil es vor dem Kampf der Ideologien steht: der Stammeszugehörigkeit.

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Eine Antwort auf Menagerie

  1. Micha sagt:

    Vorsicht beim Lästern über Namen. Ich hatte mal einen indonesischen Kollegen, der mir erzählte, dass er bis zu seiner Einreise in Deutschland auch keinen Familiennamen hatte. Erst, als er ein Visum beantragen musste, bestand die deutsche Botschaft darauf, dass Vor- und Zuname ausgefüllt werden, da musste er sich entscheiden, ob sein bisher einziger Name Vor- oder Nachname weerden sollte. Zusätzlich dachte er sich dann eben nochh einen Namen aus. Daher war ich überhaupt nicht überrascht, dass ein Indonesier einfach nur Edwin heißt.

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