Sandra Hüller hüllenlos

In dem niederländischen Forumsbeitrag BROWNIAN MOVEMENT spielt die deutsche Schauspielerin Sandra Hüller ( 2006 silberner Bär für REQUIEM) eine junge Ärztin, die mit unattraktiven Männern ins Hotelbett steigt und damit ihre eigentlich harmonische Ehe aufs Spiel setzt.

Gleich kommt der Dicke von hinten

In einer eindringlichen Einstellung drapiert sich Hüller unverhüllt auf einem Flokati und blickt entrückt in Richtung Zuschauer, dabei aber viel mehr in sich hinein. Schnaufend kommt hinter ihr langsam der massige kopflose Körper (nein, der Kopf ist nicht ab, der bleibt nur außerhalb des Breitwandbildes) eines anonymen ganzkörperbehaarten Mannes ins Bild. Der Koloss legt sich langsam von hinten auf Hüller und schwabbelt dabei über ihren Körper. Im Bildzentrum aber immer Sandra Hüllers vielsagend verzücktes Gesicht.

Überhaupt besteht der Film zu einem Großteil aus Großaufnahmen von ihrem Gesicht. Und das ist gut so. In ihren Augen und der Mimik scheinen sich so unendlich viele Geschichten abzuspielen. Da läuft natürlich die Fantasie des Zuschauers Amok. Mich hat die statische Beauty-and-the-Beast-Szene an die Monstersexszene aus POSSESSION erinnert, in der die junge Isabelle Adjani in einem feuchten Abbruchhaus an der Berliner Mauer mit einem Tentakelmonster schläft.

In dem anschließenden Frage-und-Antwort-Spiel mit dem Premierenpublikum im Delphi frage ich Frau Hüller, wie sie das mit ihrem Gesicht macht, ob es nicht schwierig ist soviel Intimität vor der laufenden Kamera zuzulassen. „Dafür werde ich bezahlt“ antwortet sie kokett, um dann doch noch hinzuzufügen, dass ihr das eigentlich ganz leicht fällt. Nachdem man vor Publikum eine Frage gestellt hat kommt man sich immer blöd vor.

Überhaupt herrscht bei solchen Berlinale-Ritualen wie dem Q&A immer die einhellig arrogante Meinung vor, die Fragen aus dem Publikum seien unendlich doof. Bei den offiziellen Pressekonferenzen im Hyatt, wo die Fragen von „Profis“ gestellt werden, ist das auch nicht anders. Die Lästerer, die sich am meisten über die Blödheit der Kollegen aufregen, würden sich natürlich nie die Blöße geben und selbst eine Frage vor versammelter Mannschaft stellen. Wenn das Gesülze so schrecklich bescheuert ist, warum verzichtet man nicht einfach auf dieses alberne Ritual? Ganz einfach: Weil es Gesprächsbedarf beim Zuschauer (Kritiker sind auch Zuschauer) gibt und weil es bei einem Filmfestival darum geht die Grenze zwischen Leinwand und Zuschauerraum aufzulösen. Deshalb sehen sich die Leute auf der Berlinale Filme an, für die sie zuhause nicht mal den Fernseher anschalten würden.

Auch Filmemacher haben was von dem betreuten Filmegucken. Sie können die Wirkung ihres Werkes erstmalig vor Publikum austesten. Dabei gehört es für den Künstler dazu, sich unheimlich vor dem eventuell schmerzhaften Feedback zu zieren. Die eloquente Regisseurin Nanouk Leopold biedert sich gleich geschickt beim Publikum an und bedankt sich brav dafür, dass man ihren doch recht langsamen Film bis zum Schluss durchgehalten hat. Der Moderator gibt zu Bedenken, das wir doch alle sehr dankbar sein müssen, weil sich Frau Leopold eigentlich lieber hinterm Vorhang verstecken würde. Wenn dann jemand so blöd ist und eine Frage stellt, rennt er oft ins offene Messer.

Frau Leopold kann oder will einem anderen glücklosen Fragesteller aus dem Publikum nicht erklären, warum Sandra Hüllers Figur im Film ihren adretten Ehemann (gespielt von Dragan Bakema) mit haarigen Schwabblemonstern betrügt. Muss sie ja auch nicht. Dazu sind ja Kritiker da. Und in Hüllers Augen auf der Leinwand kann man alle Antworten und noch viel mehr ablesen. Dafür werden wir ja bezahlt.
Jörg Buttgereit

Dieser Beitrag wurde unter Berlinale 2011 abgelegt und mit , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.