Gemischtes Doppel

Gemischtes Doppel

Es ist ganz erstaunlich in diesem Jahr. Man könnte meinen, es gibt nicht genügend Schauspieler. An das massive Auftreten der Match-Factory haben wir uns ja inzwischen gewöhnt und wollen uns an dieser Stelle nicht über die Macht der Verleiher und merkwürdige finanzielle Transaktionen auslassen, das kann man andernorts unschwer nachlesen. Nicht zuletzt in diesem Blog der vergangenen Jahre. Aber was in diesem Jahr der 64 Filmfestspiele doch auffällt, ist die Doppelung der Schauspieler. Tilda Swinton, eine der besten Darstellerinnen in Wes Andersons „Grand Budapest Hotel“ in hochgealtertem Faltenlook, ist außerdem noch in dem koreanischen Forumsfilm „Snowpiercer“ von Bong Joon-ho zu sehen. Klar, das gab es immer schon, dass große Akteure kleine Filme adeln, und ihnen eine gewisse Starthilfe geben. Aber, gilt das auch für Stellan Skarsgård, der eine tragende Rolle in Lars von Triers „Nymphomaniac“ und ebenso in Hans Petter Molands „Kraftidioten“ besetzt? Dabei ist er weder Däne noch Norweger, wohl aber einer der prominentesten Schweden! Und dann Florian Stetter. Gerade wollte man ihn uns noch als Hochdeutsch-Version von Schiller verkaufen, in Dominik Grafs „Die geliebten Schwestern“ sanft, intelligent und hoch erotisch, da ist er schon ein fundamentalistischer Katholik in Dietrich Brüggemanns „Kreuzweg“. Das bedeutet wohl, er muß am Ende gegen sich selbst antreten, im Wettbewerb um den besten Darsteller und allenthalben unterliegen. Aber das wars noch lange nicht. Ronald Zehrfeld versucht es erst als Schiller Freund und späterer Schwager Wilhelm von Wolzogen in eben jenem Film von Dominik Graf, nur um dann die Uniform zu wechseln und in Feo Aladags „Zwischen Welten“ als Kommandant der Bundeswehr an den eigenen ethischen Vorstellungen zu scheitern. Auch er wird gegen sich selbst verlieren müssen. Bleibt zum Schluß noch einer, der es wahrlich nicht verdient hat, hier bespottet zu werden. Willem Defoe. Ganz abgesehen davon, dass er große Filmrollen nur deshalb annimmt, um sein kleines Theater zu finanzieren, ist er kaum zu sehen in „Grand Budapest Hotel“, so kurz und wortkarg ist sein immerhin zwei drei mal wiederholter Auftritt. Und die zweite Rolle ist nur ein Versprechen. In „Nymphomaniac“ schaut er nur lustvoll vom Plakat herunter, mitten im sexuellen Höhepunkt. Seinen Auftritt hat er erst im zweiten Teil. Und auf den muss die Welt und vor allem die Berlinale noch warten. Bis April. Zum gemischten Doppel.

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Hören und Sehen

Ein guter Dialogsatz muss nicht brillant sein. Er bezieht seine Wirkung aus der Stärke der Situation, in der er fällt. Den größten Lacherfolg im Wettbewerb erzielte bislang die Replik des kleinen Jungen, der im norwegischen Beitrag „Kraftidioten“ von Stellan Skarsgard entführt wird. Dessen Vater, ein Drogenboss, hat die Hinrichtung von Skarsgards eigenem Sohn in Auftrag gegeben. Dafür nimmt dieser Rache, was sich mit jeder höheren Stufe in der Bandenhierarchie tarantinoesker ausnimmt. Zu dem Zeitpunkt, als Skarsgard den Sohn seines Widersachers kidnappt, hat er bereits eine erstaunliche Gelassenheit erreicht. Er und der Junge verstehen sich gut. Der aufgeweckte Gangsterspross scheint wenig an dem Trauma der Scheidung seiner Eltern zu leiden, sich dafür aber umso mehr für die Schneepflüge seines Entführers zu begeistern. Als dieser ihn am Abend vor der endgültigen Vergeltungsschlacht einen Katalog mit Räumfahrzeugen zeigt, hält er ihn  väterlich im Arm. Das behagt dem Jungen sehr. Mit aller Altklugheit, die man Halbwüchsige  diesseits von Hollywood zubilligen mag, fragt er Skarsgard: „Weißt Du, was das Stockholm-Syndrom ist?“

Am Festivalmontag fiel noch ein anderer, ungleich banalerer Dialogsatz, der mich indes weit mehr berührte. Lou Yes Ensemblefilm „Blind Massage“ spielt in einer Massagepraxis, in der lauter Blinde arbeiten. Das ergibt Sinn und hat in Asien offenbar Tradition (es gibt auch zahlreiche japanische Filme zu dem Thema). Dem Blindsein bin ich auf dieser Berlinale schon in diversen Filmen begegnet: Zweimal im Panorama (ziemlich fad) und einmal in der Retrospektive (ziemlich explosiv). Ein ideales Filmthema, an dem man sich mächtig verheben kann.

Die Masseure suchen bei Lou Ye allesamt und auf eigene Weise nach Liebe. Im Zentrum steht Ma, der sein Augenlicht als Kind bei einem Verkehrsunfall verlor. Auf Anraten eines Kollegen besucht er ein Bordell, in dem sich bald eine innige Beziehung zu einer Prostituierten anbahnt. Eines Abends findet dort eine Razzia statt. Am Morgen danach wird Ma von der Polizei freigelassen. Bei der Rückkehr in die Praxis setzt er sich in den Aufenthaltsraum. Der einzige Dialogsatz der Szene könnte trivialer kaum sein. „Ist jemand hier?“ fragt Ma in die Stille. Mich beschäftigt er seither ungemein: Empfinden Blinde Scham auf andere Weise als Sehende? Immerhin müssen sie sich dem Blick der Anderen nicht stellen.

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Retrospektive: Flesh and the Devil

“Flesh and the Devil” von Clarence Brown, 1926: Sofort sind wir entführt in ein wunderliches Fantasie-K.u.K.-Reich – so, wie es fast 90 Jahre später Wes Anderson im „Grand Budapest“-Hotel wieder vorführen wird. Ortschaften wie Schwarzburgsondernhausen tauchen auf, in der Kaserne wird geweckt mit dem freundlichen Morgenruf „Raus mit euch – Schweinehunde!“ (deutsch im Original), und Offiziersanwärter Leo von Harden, der verbotenerweise außerhalb übernachtet hat, wird sicherlich ein „Himmelherrgottheilandsdonnerwetter“ bekommen.

Tatsächlich nicht nur Anderson, sondern gleich drei Wettbewerbsfilme vereint „Flesh and the Devil“ in sich, und zwar die besten: Dietrich Brüggemanns „Kreuzweg“ – steckt das nicht drin in dem ständig beobachtenden Pastor, der das unwürdige Treiben des von Harden gleich mal improvisierend in seine Sonntagspredigt einbaut, mit dem Zorn Gottes gegen David, der Uriah töten ließ, um dessen Frau zu besitzen, eine Sünde, dass es zum Himmel stinkt? Und Lars von Triers moralphilosophischer Sexualdiskurs „Nymphomaniac“: Das ist doch die Greta Garbo, die als Felicitas von Rhaden ein, sagen wir es offen, Luder spielt. Ja: Sogar bis ins Detail gehen die Parallelen: Das Aufräumen des Schreibtisches des Mannes, den frau liebt, kommt eins zu eins in beiden Filmen vor.

Greta Garbo: Wenn sie erstmals auftaucht, geht ein Strahlen von ihr aus, das nicht nur für uns Zuschauer spürbar ist, das auch Leo von Harden ganz verzaubert. Die Liebe bricht aus – und führt zum Tod. Zum Tod von Felicitas‘ Mann nämlich, den sie wohlweislich verschwiegen hat, ist Leo trotz kleinerer Hallodrihaftigkeiten vor allem ein Ehrenmann. Bis zu diesem Zeitpunkt verbreitet der Film einige Späße, etwa mit dem Pastor, der nach einem Bier doppelt zu sehen glaubt – und erst später merkt, dass er Zwillingen ansieht. Ein kleiner harmloser Scherz, haha, volkstümlich und nett, den Brown wie einige andere Gags allerdings zu weit ausbaut, als dass er pointiert zu nennen wäre. Schließlich ist der Film ja ein Melodram, und dafür ist Brown dann wieder voll zuständig: Weil er diesen Film kräftig dazu nutzt, die Garbo als Star aufzubauen. Durch die, sie erraten es durch das Thema der Retrospektive, durch die Beleuchtung. Fabienne Liptay hat das sehr genau beobachtet und beschrieben in ihrem Essay zur Retro-Buchpublikation, und ja, auch ich als Beleuchtungslaie bin verzaubert von dem überirdischen Licht, das er und Kameramann William Daniels den Großaufnahmen angedeihen lassen.

Insbesondere in dieser berühmten Szene, als Leo (John Gilbert) von Felicitas (Garbo) eine Zigarette in den Mund gesteckt bekommt, die er anzündet – das Leuchten, das aus seiner hohlen Hand auf ihr Gesicht fällt (ein versteckter Scheinwerfer!), die Augen, der Mund und die Erotik des Rauchens… Gottseidank bläst sie das Streichholz (sprich: den Scheinwerfer) aus, sonst wäre es noch unzüchtiger geworden!

Und später dann: Da ist Leo geflohen, weil er beim Duell gesiegt hat gegen den Ehemann; und sein Freund Ulrich (der nichts von der Liebeseskapade weiß) wird von der Garbo wieder mit einer Zigarette verführt! Er stellt sich zwar ungeschickt an, aber Feli ist nicht so wählerisch, Mann ist Mann. Als Leo zurückkehrt, drei Jahre später, sind seine große Liebe Feli und sein bester Freund Uli verheiratet, und das Schicksal nimmt seinen Lauf. Ein Diskurs über die Moral, falsche Liebe zerstört echte Freundschaft, und nebenbei läuft auch noch Ulrichs Schwester hoffnungsvoll daher, die so sehr die Beachtung Leos wünscht…

Wobei Clarence Brown seinem Film ein überraschendes Ende verpasst. Und das ist nicht positiv gemeint. Ein derart aufgeklatschtes und unmotiviertes Happy End muss man erstmal finden in der Filmgeschichte. Und es finden sich die richtigen. Denn wenn ein Bund geschlossen wird, dann wird er nicht gebrochen – in diesem Fall eigentlich eine Homo-Ehe, haben sich doch Uli und Leo einstmals, als Kinder schon, per Blutsbrüderschaft ewige Treue geschworen, und zwar tatsächlich, laut Untertitel, „in guten wie in schlechten Zeiten, in Leben und in Tod.“

 

Harald Mühlbeyer

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böse menschen und schlechtes essen

Wie ich erfahren habe, lesen manche Berlinale-Besucher(innen ;-) )diesen Blog zum Einschlafen. Ich weiß nicht, ob das wirklich ein gutes Zeichen ist. Produktiv aber, dass es einen gewissen Druck setzt, noch vor dem eigenen Zubettgehen etwas Neues in die Tasten zu klopfen. Nur was? Dass man mich im “Mom’s Favourite” erst höchst unfreundlich wegen einer mitgebrachten Wasserflasche angemacht hat, mir dann aber zum überteuerten Café nicht mal ein Glas Wasser gebracht. (ach, wie trauere ich der alten MaxBar mit unserer Lieblingskellnerin Gretel nach….!) Und auch dem Möhring. Ein Kollege, der etwas schreiben musste, ist bis zum Pariser Platz gelaufen, um einen eingermaßen ruhigen Platz zu finden) Dass im Forums-Pressekino ein hinter mit sitzender Herr seinen Sockenfüße direkt neben meinem Kopf (und meiner Nase!) abgelegt hat.
Oder, dass ich trotzdem einen wirklich guten sehenswerten Film gesehen habe.

“Casse” heißt er und spielt auf einem großen französischen Schrottplatz, wo meist migrantische Männer in den Eingeweiden alter Autos wühlen. Und während sie ein Getriebe oder eine Fensterscheibe herausbauen, erzählen sie ihre Geschichten von ihrem Leben, der Flucht und ihre ganz eigene Sicht auf die französische Gesellschaft und die Integration. Dazu gibt es als eine Art Kapitel-Intro eine Musik, die auf eine tänzerische Art nach Zirkus klingt. Am Ende musste ich leider rausgehen, weil ich eine wichtige Verabredung hatte. Doch vielleicht kann ich mir noch irgendwo anders das Ende ansehen. Es ist der zweite Film der 1976 geborenen Französin Nadège Trebaldie.

Zur Luxus-Streetfood-Gasse und der entsprechenden Kritik hat die Zeit heute leider nicht gereicht, sondern gerade mal für einen Billigwürger auf dem Weg vom S-Bahnhof bis zum Cubix. Wirklich echtes Streetfood eben, das man auch im Rennen essen kann, weil es so gut klebt.

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Keine vornehme Blässe

Das am härtesten erstrittene Gut auf einem Filmfestival ist die Aufmerksamkeit. Bei diesem  Wettstreit gehen manche Filme mit einem enormen Vorteil an den Start: Sie sind schon berühmt. In der Regel hat man sie zwar noch nicht gesehen, aber ihre Legende eilt ihnen voraus. Das schützt glücklicherweise nicht vor Überraschungen. Was ich in britischen  und französischen Zeitungen über „Nymph()maniac“ las, bereitete mich nicht wirklich auf den Film vor, den ich am Sonntagmittag sah. Ein Aspekt, der mich ungemein fasziniert, ist die Gelehrsamkeit des Zuhörers Seligman (Stellan Skarsgard – wo hat Uli Sonnenschein eigentlich das Sonderzeichen über dem „a“ in der letzten Silbe des Nachnamens her?). Sie erlaubt es ihm, die Lebensbeichte von Joe (Charlotte Gainsbourg) emphatisch, gewährend und beziehungsreich zu begleiten bzw. zu hinterfragen. Ich bin gespannt auf die Fortsetzung dieses forschenden Dialogs, zumal der erste Teil mit einem tollen Cliffhanger endet.

Allerdings musste ich mich beim Sehen des Films mit einem ästhetischen Problem auseinandersetzen, das mich im Verlauf des Wettbewerbs zusehends peinigt. Mit dem Verschwinden der Hautfarbe in der digitalen Filmfotografie mag ich mich partout nicht abfinden. Warum sollte ich? Ich wünschte, ich wäre mit den technischen  Bedingungen besser vertraut. Gleichwohl erscheint es mir nicht unausweichlich, dass in fast allen Filme die Gesichter so beklagenswert fahl erscheinen müssen. Die Akteure in Rachid Boucharebs „La Voie de l’ennemi“ sehen bleich so aus, wie es ihre Gebeine nach einigen Monaten unter der Wüstensonne New Mexicos tun würden. Atmosphärisch passt das zu einigen Filmen sehr gut – „Nymph()maniac“ ist unter anderem ja auch eine klinische Studie. Der argentinische Beitrag „Historia del miedo“ (den wohl nur die Eitelkeit der Festivalmacher vom Panorama in den Wettbewerb befördert hat – er wurde vom hauseigenen World Cinema Fund subventioniert) schürt meinen Verdacht, dieses Oktroy der Blässe sei zwar nicht wohlüberlegt, aber doch gewollt. Das bedrückend enge Farbspektrum der Digitalfotografie eignet sich schlecht für vitale Figuren, sehr wohl aber für erloschene.

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