Wir haben noch gar nicht über Noburo Nakamura gesprochen. Es wäre ein schlimmes Versäumnis, wenn ich Sie nicht auf die Mini-Retrospektive hinweisen würde, die zunächst im Forum und danach im regulären Programm des Arsenals gezeigt wird. Er ist einer jener Studioregisseure aus Japan, zu deren Wieder-/Neuentdeckung das Forum alljährlich einlädt. Wiederum handelt es sich um einen kleinen Meister, der große Verehrung verdient: einen, der die Umbrüche im Nachkriegskino nicht vorangetrieben, aber empfindsam begleitet hat. Womöglich besitzen seine Filme gerade deshalb ihren Wert als Dokumente der Sitten- und Mentalitätsgeschichte Nachkriegsjapans, weil sie im Schutz des Studiosystems (Nakamura war bei Shochiku) entstanden sind und die Indizien des gesellschaftlichen Wandels vorfanden, ohne sie zu suchen.
Die drei Filme weisen eine erstaunliche stilistische Bandbreite auf, besitzen zugleich allerdings große thematische Kontinuität. Immer wieder geht es um die Idee des Zuhauses, das allerdings zusehends weniger für den traditionellen Familienzusammenhalt steht. Der erste, „Home Sweet Home“, stammt von 1951 und ist ein zuvorkommendes Alltagsmelodram. Die Tugenden der Disziplin und des Maßhaltens können noch hochgehalten werden, die Risse in der Fassade lassen sich noch schließen. In „When it rains, it pours“ herrscht sechs Jahre später schon ein anderer Ton. Das Zuhause ist zugleich eine Pension, die einen schlechten Ruf als Stundenhotel hat. An dieser Depravierung leiden die Kinder, die überdies noch entdecken müssen, dass sie die Zweitfamilie ihres Vaters sind (eine konfliktreiche Situation, die hier übrigens weit vielschichtiger behandelt wird als in dem argentinischen Wettbewerbsbeitrag „La tercera orilla“). Auch in „The Shape of Night von 1964 macht sich Nakamura, nun in CinemaScope und Neonfarben, einen weiblichen Blickwinkel zu Eigen. Diesmal steht eine Prostituierte im Mittelpunkt und fehlt die Familie als Garant einer Lebensorientierung vollends.
Drei Filme lassen sich schwerlich auf ein Werk hochrechnen, als Momentaufnahmen sind sie jedoch aufschlussreich. 1951 arbeitet Nakamura noch im Fahrwasser Ozus, wenngleich bei ihm das Harmoniebedürfnis ausgeprägter ist. 1957 muss er gespürt haben, dass etwas Neues in der Luft lag, eine Ahnung von jugendlicher Rebellion und zunehmender Verwestlichung der Sitten. Zu der Rauheit, die seinerzeit Regisseure wie Masaki Kobayashi ins Ki o brachten, mag er sich nicht durchringen. 1964 hat er gewiss die Filme der Neuen Welle in Japan gesehen. Aber sein Stil ist weniger heftig als der eines Nagisa Oshima, obwohl der Stoff dies zuließe. Seine Schwermut angesichts des Martyriums seiner Heldin bleibt beherrscht. Nakamura ist ein Seismograph, ein Erzähltemperament des Beinahe.