Zu viele Noten

Sind wir die ganze Zeit etwa einem Hochstapler auf den Leim gegangen? Und mit uns gleich eine ganze Reihe großer Filmemacher? Alexandre Desplat hat in den letzten zehn, 15 Jahren eine wirklich blendende Karriere hingelegt. Der Komponist wurde mit Preisen überhäuft, Regisseure wie Polanski, Jacques Audiard und Stephen Frears halten große Stücke auf ihn. Auf jedem großen Festival ist er mit mindestens einem Film vertreten. Sein munteres Pistacchio zu „The Grand Budapest Hotel“ war ein hübscher Auftakt des Festivals. Nun darf er bei George Clooney auch noch eine Nebenrolle als hilfsbereiter, normannischer Bauer spielen. Als habe er sich mit der Musik zu „The Monuments Men“ nicht schon genug Schande gemacht!

Gute Filmkomponisten sind integere Opportunisten. Sie müssen sich wahlweise als Komödianten, Melancholiker, Patrioten oder Romantiker zu erkennen geben: ganz so, wie der Film es ihnen vorgibt. Aber Desplats Partitur zu Clooneys Film ist eine Ausschweifung der Pleonasmen. Als würden es Dialoge und Inszenierung nicht schon zur Genüge tun, schreibt sie dem Zuschauer vor, was er empfinden soll. Wir müssen um Figuren trauern, die wir noch gar nicht recht kennengelernt haben (warum eigentlich sterben nur die Nichtamerikaner in der Truppe?). Zugleich verdoppelt Desplat die Ratlosigkeit des Films: Will er nun erhebend nostalgisch oder doch eher burlesk sein? Der flotte Marsch ist die Koketterie mit einer Arglosigkeit, die kein Kriegsfilm heute mehr für sich reklamieren kann. Im Licht dieses Fehlgriffs erscheinen Desplats frühere Berlinale-Erfolge erst recht dubios: War sein Score für „Sur mes lèvres“ nicht doch nur eine Lehnprägung, die Bernard Herrmanns  „Vertigo“ am Ende mehr verdankt, als Audiards einfallsreichem Krimi recht sein kann? Und war der Silberne Bär für die Musik zu „Der wilde Schlag meines Herzens“ nicht reichlich übertrieben, da ihre Wirkung sich vor allem den atmosphärisch tragende Songs verdankt, während aus Desplats Feder nur zwei, drei Minuten stammen? Die Entzauberung ist enorm. Wäre er eine Filmfigur, müsste sie von Bradley Cooper verkörpert werden, Hollywoods Spezialisten für das Erringen voreiliger, unverdienter Triumphe.

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