Etwas seltsam, “Letter form an Unknown Woman” von - laut Vorspann – Max Opuls, 1948, in der Retrospektive zum Weimar-Touch zu sehen. Ästhetisch ist der Film Hollywood, in Ausstattung, Stil und melodramatischem Inhalt; inhaltlich wird ein Film-Wien um die Jahrhundertwende präsentiert, das ja auch nichts mit Weimar zu tun hat. Immerhin hat Ophüls seine ersten Filme zur Weimarer Zeit gedreht, er immerhin ist von dieser Zeit geprägt.
Der Film freilich ist wunderschön ausgestattet, jeder Gegenstand in den geschmackvoll ausgeleuchtete Räumen hat seinen Platz, elegant, exquisit, wohlkomponiert die Kleider, die Requisiten, die Anordnungen der Raumkomposition bis hin zur Künstlichkeit – wie ja auch das Wien des Films deutlich im Studio aufgebaut wurde. Erzählt wird nach einer Novelle von Stefan Zweig die unglückliche Liebe von Lisa zum Nachbarn Stefan Brand. Lisa noch ein Mädchen, Brand ein vielversprechender Konzertpianist; Lisa lauscht seiner Musik, Brand lädt Gespielinnen ein. Lisa liebt, Brand weiß von nichts.
Erzählt wird als Rückblende, entlang eines Briefes von Lisa an Brand, die er als Person und als Liebende erst dadurch überhaupt bewusst wahrnimmt. Ihre Besessenheit von ihm, ihr jugendliches Schwärmen, ihr frauliches Begehren. Wie sie wegzogen, wie sie einen anderen für ihn abwies, wie sie floh, zurück zu ihm, in seine Nähe. Wie sie ihm doch näherkam, wie sie eine unvergessliche Nacht erlebten, in der er sie erkannte – als der Teil, der ihm fehlte, den er suchte. So jedenfalls empfand sie es. Bis sie sich trennten. Bis sie heiratete, einen, seinen Sohn gebar. Er weiter mit diversen Geliebten, immer im unglücklichen, unbewussten Wissen, etwas Wichtiges verloren zu haben.
Melancholisch, traurig ist der Film, der das Zusammentreffen verschiedener Wahrnehmungen zeigt, die sich verschränken, sich verzahnen und dabei doch nie berühren. Stefan Brand wird gespielt von Louis Jourdan – viel später wird er als Bond-Bösewicht in “Octopussy” Schafskopf inklusive Augen servieren, hier spielt er einen Schafskopf ohne Augen, ohne Blick für das Glück nebenan.
Oder ist alles nur besessene Schwärmerei von Lisa, kann ihren Beteuerungen von Liebe, von Seelenverwandtschaft getraut werden? War diese eine, romantische Nacht so sehr geprägt von Eins-Sein, wie sie in ihrem Brief, wie der Film ihr folgend in seinen Bilder zeigt? Das sind natürlich Fragen der Unzuverlässigkeit, die in “Letter to an Unknown Woman” nicht gestellt und schon gar nicht beantwortet werden – es ist Hollywood, es ist Gefühl. Und als solches natürlich perfekt.
Doch irgendwie wirkt der Film wie die Schaubudenattraktion in jener einen unvergesslichen Nacht, in der Lisa Brand ihr Leben erzählt, in einer Eisenbahnwaggonimitation, vor deren Fenster die Landschaften aller Gegenden der Welt vorbeigezogen werden, Reisen, ohne den Ort zu verlassen, auf Wunsch, gegen Geld, angetrieben vom Schausteller mit seinen Fahrradpedalen. Der Film als Illusion, als Traum, als künstliches Gebilde, um den Zuschauer zu rühren.
Anders “Komedie om Geld”, Ophüls’ niederländischer Film von 1936, der die flirrende Lustigkeit, den scharfen Blick auf die Verhältnisse, die karikatureske Satire, die wichtiger Teil des Weimarer Kinos waren, übernimmt. Leider etwas unzusammenhängend, zerfasert – wobei die fehlende Stringenz eventuell auch der Kopie geschuldet ist, die zwar restauriert, aber nicht rekonstruiert ist, so dass es noch verlorene Teile, verlorene Nebenhandlungen und Szenen gibt.
Der Film beginnt mit einem Hallodri, der winkend von einer Kanalbrücke Verhandlungen führt, Zahlen anzeigt, wild gestikuliert. Als man handelseinig ist, bringt er einem wohlsituierten Ehepaar einen Hund, verkauft um 10 Gulden. Ein Trick, natürlich – wenn der Verkäufer pfeift, läuft der Hund wieder zu ihm, seinem Herrchen. Das ist schön gemacht, über Bande erzählt, liebenswert pfiffig – aber der Hundehochstapler ist nicht die Hauptfigur, sondern “nur” der Schwager von Brand (wieder derselbe Name!). Den wir erst später kennenlernen, so dass seine Identifizierung als Hauptperson des Films etwas schwierig ist.
Brand ist hochangesehener Bankangestellter, er wird als Geldbote mit hohen Summen vertraut. Umso tiefer sein Fall, als 50.000 englische Pfund aus seiner Tasche verschwinden. Der Diebstahl ist ihm nicht nachzuweisen, hängt ihm aber nach, er wird entlassen, die Tochter ebenfalls, Ruf ist ruiniert und das Geld wird knapp. Vor dem Selbstmord rettet ihn nur der Ruf eines großen Geldinstitutes – er, der kleine Mann mit beschädigter Reputation, soll als Vorstand das Immobiliengeschäft übernehmen. Und plötzlich wird der Film ganz heutig, plötzlich sind wir drin in Bankenkrise und Immobilienblase und betrügerischem Vorgehen in den oberen Etagen der Geldhäuser.
Freilich – auch das macht den Film etwas holprig – muss man den Plan der dem Kapital und dem Profit verpflichteten Bank als Zuschauer nachträglich konstruieren; vielleicht war irgendwann in der Geschichte des Filmmaterials hier ein Dialog herausgeschnitten worden. Es geht darum, dass Brand, der Dieb, dem nichts nachzuweisen ist, für reich gilt. 50.000 Pfund immerhin vermutet man bei ihm im Hintergrund; die Bank wiederum ist knapp bei Kasse. Ein Vorstand, der so mit Vermögen ausgestattet ist, stabilisiert freilich auch die Bank selbst, die nun wieder gut dasteht – es geht nicht um reales Geld, sondern um den Anschein von Geld, das als Eigenkapital der Bank gelten kann.
Brand spielt mit. Kennt freilich die Regeln nicht. Ein großes Bauprojekt will er bestmöglich gestalten – freilich für die Käufer, nicht für die Bank. Großer Fehler, billiger, bröseliger Mörtel tuts auch, wenn in zehn Jahren renoviert werden muss, kann die Bank wieder an Krediten verdienen… Ein sehr hellsichtiger Film also, eine sehr ernsthafte satirische Krisenkomödie (und wer Ken Loachs “The Spirit of 45″ gesehen hat, weiß, wie arm damals, in den 1930ern, sogar die Bevölkerung im Weltreich Großbritannien war, in Holland wird’s kaum anders gewesen sein). Die Komödie ums Geld zeigt, wie das Geld Charakter verdirbt, das System unterhöhlt, wenn es in den falschen Händen ist; wenn der Kapitalismus sich auf Schein aufbaut. Und auch der kleine, unschuldige Mann ist nicht gefeit: Brand legt sich einen Lebensstil zu, der seiner Position angemessen ist, mit einer palastartigen Villa und einem Diener. Der freilich bald merkt, dass er es hier, beim falschen Fuffziger Brand, nicht aushalten kann.
Das wirklich Besondere an “Komedie om geld” ist, dass der Film als eine Art Varietéakt präsentiert wird, von einem Clown-Conferencier, der sich immer wieder kommentierend – und Spottlieder singend – einschaltet. Und der am Ende, wenn Brand im Gefängnis sitzt, tröstend weiß: In der Wirklichkeit braucht man Jahre, um vom Gericht wieder heimzukommen, im Film nur ein paar Sekunden. Weil man die Möglichkeit hat, ein Happy End zu erzählen. Nachträglich zu erklären, dass Brand unschuldig ist, um das Publikum nicht im Ungewissen zu lassen. Man weiß, was man dem Zuschauer schuldig ist – das ist genau die Art von Selbstreflexivität, die das Kino der letzten Weimarer Jahre so unwiderstehlich – und so modern – macht.