2x Remakes, 1x Lang – „First a Girl“, „M“, „Fury“/“Blinde Wut“

Schade, dass Fritz Langs “M” nicht in der Retrospektive läuft; aber klar: Es geht ja um den Weimar-Touch nach 1933, und nicht um das Weimarer Kino selbst. So kann man nicht direkt vergleichen, den Originalfilm mit Joseph Loseys US-Remake von 1951. Anders bei „Viktor und Viktoria“ – Schünzels Film ja von 1933, ein Überläufer aus der Weimarer Republik; gleichzeitig entstanden: Eine französische Sprachversion mit anderen Hauptdarstellern; 1935 entstanden: Ein englisches Remake unter dem Titel „First a Girl“, das ebenso wie Schünzels Original auf dieser Berlinale läuft.

 

Wobei „First a Girl“ ein schwacher Film ist. Wo Schünzel Esprit und Tempo zeigt – allein schon durch die stets gereimten Dialoge – erreicht die englische Version nur manchmal richtigen Witz. Regisseur Victor Saville setzt vielmehr auf das Potential, das in dem Stoff liegt, um große Revuenummern zu zeigen. In diesen minutenlangen Choreographien vergisst der Film ganz, was die eigentliche Grundlage der Handlung – und der Song and Dance-Nummern – ist: Dass hier aus der Not von Schauspielern ohne Engagement ein doppelt gedrehter Geschlechtertwist entsteht. Viktor ist erkältet, seine Bekannte Viktoria / Elizabeth springt ein: Er ist Frauenimitator im Cabaret, sie spielt also nun einen Mann, der eine Frau spielt. Was natürlich zum Problem wird, wenn sie sich als Mann in einen anderen verliebt; und der nicht hinter das Geheimnis kommen soll.

 

Die Revuenummern in „First a Girl“ nun sind in der Tat derart ausgefeilt, sehr glamourös, überaus pompös und wahnsinnig aufwändig für die Kamera inszeniert, dass es völlig wurscht ist, dass die Haupttänzerin eigentlich einen Damenimitator spielt. Und das hat den Film auch sehr schlecht altern lassen – minutenlange Tänze im 30er-Jahre-Stil…??? Freilich ist auch der Rest nicht so spritzig wie bei Schünzel, und die Hauptdarstellerin Jessie Matthews ist einfach kein Vergleich zu Renate Müller. In „First a Girl“ ist es noch (ungewollt) alberner, was die Männlichkeit ausmacht: nämlich, dass am Ende des Aktes die Perücke abgezogen und kurzes Haar zum Vorschein kommt. Dass Jessie Matthews durchaus ein Dirndl füllen kann, dass sie sehr weibliche Gesichtszüge, Lippen und Schneidezähne hat, dass sie nie ansatzweise versucht, in etwas tieferer Stimmlage zu reden – was ist das schon gegen eine Zigarre, Whisky und Brandy, die sie als Mann beweisen.

 

Bei Schünzel geht’s nach London; bei Saville wird’s exotischer, Südfrankreich lockt mit Strand und Palmen. Auch hier: größere Schauwerte. Die freilich der Geschichte und wie sie erzählt wird wenig zuträglich sind.

 

„M“ von Joseph Losey ist das Remake von „M“ von Fritz Lang. Der Produzent war zwar derselbe, Seymour Nebenzal; doch ein Film kann natürlich nur verlieren, wenn er sich am Meisterwerk eines Meisterregisseurs orientiert. Zugleich dem Original wie auch der amerikanischen Befindlichkeit der 1950er gerecht werden muss. Der Kindermörder geht in Los Angeles um, wir sehen ihn schon zu Anfang, erkennbar daran, dass er sich unter einem Hut verbirgt. Er bringt Mädchen um – doch gottseidank vergewaltigt er sie nicht vorher, anders als Peter Lorre. Der US-Film verlagert das Sexuelle explizit ins Symbolische: Der Killer stiehlt die Schuhe seiner Opfer; und er pfeift nicht nur, sondern hat eine Flöte (schöne Assoziation mit dem Rattenfänger).

 

Es gibt beim Misstrauen und den Verdächtigungen in der Bevölkerung schöne Anklänge an die red scare – als sich unzuverlässige Augenzeugen über die Farbe eines Kleidungsstückes streiten, beschimpft der eine die andere: Rot, rot?!? Sind Sie Kommunist? Und auch den Gleichklang von Polizei und Gangstersyndikat weiß der Film herzustellen, die beiden den Mörder suchen: Die Gangsterbosse sind in ihren Umgangsformen gentlemanlike, bei der Polizei ist einer für härtestes Durchgreifen, auch jenseits des Gesetzes, ein anderer ein verlotterter Proto-Columbo.

 

Angewendet werden auf Polizeiseite psychoanalytische Mittel, das war in Mode damals: Rorschach-Tests und Assoziationsspiele an Verdächtigen. Und auch der Film geht dieser Mode nach: Auf dem Tisch des Killers groß ein Foto seiner Mutter, und am Ende, wenn er sich verzweifelt an die Gangster wendet, hält er keine ergreifende Seelenschau wie Peter Lorre, sondern erklärt ganz verständlich sein Verhältnis zu Mama, sein übernommener Hass auf Männer und auf die Welt, seine Sucht nach Strafe und sein Wissen, dass Kindern in dieser Welt der Tod besser steht. Alles sauber an seinem Platz, nach Lehrbuch der Populärwissenschaft – und deshalb natürlich sehr viel schwächer. Denn im Film muss nicht der Dialog alles erklären, sondern der Charakter muss erklärt sein. Wir blicken auf den Killer und Darsteller David Wayne tut alles, um wie eine getriebene Seele auszuschauen; doch es ist nicht die getriebene Seele, die aus ihm herausschaut.

 

Wenn auch einige Einstellungen direkt übernommen wurden, wirkt der gesamte 1951er-„M“ wie ein Reenactment – wie eine dieser Hobbytruppen, die in ihrer Freizeit eine historische Schlacht nachspielen. Das Original ist stets überstark, überstrahlt das Remake; während dieses wiederum stets nur auf das Original verweist und damit heftig an Eigenständigkeit einbüßt.

 

Fritz Langs erster US-Film in seinem Exil war „Fury“, 1936. Spencer Tracy ist heftig verliebt in sein Girl, lange Monate verlobt, muss sich aber hocharbeiten, um genug Geld für die Familie zu verdienen; nebenbei zähmt er seine halb kriminellen Brüder, und als er endlich zur Geliebten fährt – wird er in einer Hinterwäldlerkleinstadt für einen Kidnapper auf der Flucht gehalten, verhaftet, vom Volksmund vorverurteilt, ein Lynchmob bildet sich, überwältigt die Polizei und zündet das Gefängnis an. Tracy entkommt, ohne dass es jemand wüsste, und mit seiner Hilfe strengen die Brüder und die Verlobte einen Mordprozess gegen 22 der identifizierten Lynchmörder an – seine Rache, auf ganz legalem Wege. Fast legal: Denn für einen Mord an ihm ist er eben noch zu lebendig…

 

Man kann an diesem Film wenig über den Weimarer Geist direkt erfahren. Viel aber, wie sehr Lang diesen Weimarer Geist beeinflusst und mitgeformt hat, gerade in den Kriminalfilmen. „Fury“ ist eine Art Kompendium von Langs Themen: Die unerbittliche Rache des für Tod Gehaltenen – ist das nicht eine Kriemhild-Reaktion, Mörder zu verfolgen auch um den Preis des Untergangs, des eigenen wie derer, die man liebt? Und die Diskurse um Recht und Unrecht, um Verbrechen und den Umgang damit, um Rache und Strafe, um Gerechtigkeit und Gesetz, die Lang in seinen Weimarer Verbrechensfilmen führt: Sie alle werden auch in „Fury“ geführt (und bemerkenswerterweise nicht im „M“-Remake, denn klar: In den USA bedeutet Töten Hinrichtung, daran rüttelt Joseph Losey nicht). Und die komplexe Struktur von „Fury“ ist ein Nachklang von Langs kolportageartigem, episodischen Stil der Mabuse- und „Spione“-Stummfilme. „Fury“ ist zunächst romantische Liebesgeschichte, wird zum Kleinstadtthriller und schließlich zum Gerichtsdrama.

„Fury“ ist ohne Frage ein Film, der Fritz Lang erklärt. Und damit eben vor allem einer, der Fritz Lang-Geist atmet – und nur mittelbar den Weimar-Spirit.

Dieser Beitrag wurde unter Berlinale 2013 abgelegt und mit , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.