Still rolling?

Gestern erreichte die akkreditierten Journalisten eine Pressemitteilung des Festivals, in der zu lesen war, dass nur noch 8 % der gezeigten Filme auf Zelluloid gedreht wurden. Von solchen Werten kann zwar die FDP nur träumen. Aber sollte sich der Siegeszug des Digitalen tatsächlich so rasch vollzogen haben? Mehr als die Hälfte der Filme wurde im Digital Cinema Format (DCP) gezeigt, der Rest verteilt sich auf andere Formate. Die 8 % dürften etwa 35 Filmen entsprechen. Wahrscheinlich ist die Retrospektive die hauptsächliche Bastion des Widerstands auf 35mm.

Selbst der kuriose Wiedergänger im Wettbewerbsprogramm, „Dark Blood“ (der letzte, unvollendete Film mit River Phoenix, der schon erschütternd erloschen wirkt) muss so aussehen, als habe ihn Ed Lachmann nicht vor 20 Jahren fotografiert, sondern gerade erst. Meine Vorbehalte gegenüber der Digitalisierung habe ich in den letzten Jahren an dieser Stelle oft formuliert, vielleicht gar oft genug. Deshalb verweise ich diesmal nur auf einen  Artikel, den Thomas Groh in der heutigen (14.2.) taz veröffentlicht hat. Ihm ist die Umstellung auch nicht geheuer.

Ohne Zweifel hat sie praktische Vorteile. Nun kann beispielsweise die Alternativvorstellung des jeweils dritten Wettbewerbsbeitrags zeitgleich beginnen, weil die Vorführer im CinemaxX nicht mehr das Ende der ersten Filmrolle abwarten und diese dann ins andere Kino transportieren müssen. Manche Filme kleidet das neue, digitale Gewand sogar recht gut. Die hochauflösende Fotografie passt zum enzyklopädischen Gestus von Nicolas Philiberts „La Maison de la radio“, der beinahe jeden Aspekt des Tagesablaufs im berühmten Pariser Funkhaus in den Blick nimmt. Auch die bemerkenswert ungeläufigen Stadtansichten New Yorks in „Side Effects“ profitieren von der klinischen Sterilität des Formats.

Tatsächlich ist Yoji Yamadas Remake von/Hommage an Ozus „Reise nach Tokio“, „Tokyo Kazoku“,  erst der zweite aktuelle Film, bei dem mir auffiel, dass hier vor dem Vorspann nicht diversen Firmen gedankt wird für die Unterstützung der digitalen Projektion. (Das Original wurde in der Reihe „Berlinale Classics“ in einer selbstredend digital restaurierten Fassung gezeigt.) Auch über Yamada habe ich in früheren Blogs häufig geschrieben; was vielleicht auch Indiz einer konservativen Ausflucht war. Deshalb gebe ich nur eine zweifache Verwunderung zu Protokoll, die mich während der gestrigen Galavorstellung beschlich. Erstens war ich verblüfft, wie ungewohnt weich und unscharf ein Film auf Zelluloid nach sieben Berlinale-Tagen anmutet. (Die Vorführungen im Friedrichstadtpalast lassen allerdings ohnehin zu wünschen übrig, und die Kopie war für eine Weltpremiere bereits erstaunlich lädiert.) Dass der Moderator des Abends seine Conférence mit den Worten „Roll the film, please!“ beendete, erstaunte mich nicht weniger. Hält die Berlinale-Leitung, die sich so an der eigenen Fortschrittlichkeit berauscht, ihre Mitarbeiter denn nicht über diese auf dem Laufenden?

 

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