“Der Golem” – einer der ikonischen Filme der Weimarer Zeit, düster und romantisch, handwerklich hervorragend und ästhetisch innovativ. 1935 hat Jules Duvivier ein Remake des Films geschaffen – nein: Kein Remake, eine Neuverfilmung der Legende, in einer französisch-tschechischen Koproduktion (gezeigt wurde eine tschechisch untertitelte Kopie in französischer Sprache, der die englische Übersetzung hinzugefügt wurde).
Was für ein Film: Er zeigt das Elend der Juden im Prag des Jahres 1610, Armut, Seuchen, Hunger, Unterdrückung. Das Ghetto wird nachts verschlossen, die Sehnsucht nach besseren Zeiten ist groß, die Hoffnung liegt auf dem Golem, einer mythischen Statue in der Synagoge, und auf Rabbi Jakob, der das Geheimnis kennt, den Golem, den erhofften Erlöser, zum Leben zu erwecken.
Im Palast herrscht Rudolf II., deutscher Kaiser – doch eigentlich regiert Kanzler Lang, ein konvertierter Jude, der nun umso heftiger das Volk, das er verlassen hat, versklavt. Der Kaiser selbst: Eine lachhafte Gestalt, abergläubisch, launisch, wahnsinnig – größenwahnsinnig wie verfolgungswahnsinnig. Um eine Alraune zum Leben zu erwecken, lässt er kurzerhand einen erhängen, empfängt den spanischen Gesandten im Pferdestall inklusive Pferdeäppeln, die zum Reintreten einladen. Er glaubt fest an Astronomie und Horoskop und ist so umso leichter zu manipulieren. Triebhaft ist er, ständig hat er junge Mädels im Arm. Zudem mit der Gräfin Strada eine langjährige Geliebte, die recht undurchsichtig bleibt, geheimnisvoll und deshalb interessant: Will sie seine Liebe? Will sie Macht? Will sie des Kaisers Heilung? – die man auch einmal nackt in ihrem Schlafzimmer sieht, der Kaiser ist bei ihr mit langem Degen in Hüfthöhe vorgereckt… (Französisch-frivol halt, würden wir sagen, wüssten wir nicht um die vielen zeitgenössischen Nacktszenen in deutschen Filmen,bei Veit Harlan sowieso, aber auch etwa das Nacktbaden von Hans Albers und Hilde Weissner in „Ein Mann auf Abwegen“ von Herbert Selpin – und wie er die Weissner im Gegenlicht fotografiert hat…)
Am Prager Hof jedenfalls ein buntes Sammelsurium faszinierender Gestalten, der Kaiser hat einen debil lachenden Sohn, ein französischer Antiquitätenhändler taucht auf, der Nägel von der Arche Noah und das ganz echte Schwert von Karl dem Großen verkauft. Um diesen Händler ist eine schöne Nebenhandlung aufgebaut, auch er lernt die Strada kennen, Gelegenheit für bisschen Verwechslungs- und Situationskomik. Wie überhaupt der Film ziemlich witzig ist, dafür, dass es um den Golem geht.
Duvivier weiß andererseits freilich genau, wie er das Unheimliche im Hintergrund zeichnen muss. Und das ist nicht der wiederbelebte Rache-Lehmmensch, nein: Es ist der Terror, den Lang auf die Juden herniederprasseln lässt. Es ist die Verdorbenheit, die die Macht mit sich bringt, eine Verdorbenheit des Charakters – beim Kanzler -, eine Verdorbenheit des Geistes beim Kaiser – der mit dem Golem einmal Zwiesprache hält, er fürchtet ihn als Personifizierung des Todes, und verehrt ihn als Zeichen der Macht, will ihn, den noch unbelebten Lehmklotz, als Freund gewinnen. Hat dann einen Anfall, kämpft gegen Phantome um sich und ersticht einen seiner Soldaten.
Die Juden im Ghetto: Das ist eine bemerkenswerte Parabel auf die Situation der Juden im zeitgenössischen Deutschland, von der Macht unterdrückt – der Film führt vor, wie Hitler in den kommenden Jahren umgehen wird mit ihnen, im Film gibt es zwar keine Judensterne, aber Kreis-Kennzeichen auf der Kleidung, die Soldaten ziehen ins Ghetto für willkürliche Verhaftungen, für Folter, Brandschatzung, Mord. Lang will die Juden loswerden; und vor allem den Golem, der ihnen Hoffnung gibt.
Andererseits: Die Juden sind Duckmäuser. Nein: Sie begehren nicht auf. Sie erleiden, sie ducken sich weg, sie dulden, sie singen traurige Lieder. Ihr Schicksal nehmen sie nicht in die eigene Hand, da muss eine Frau her, die Frau des Rabbis. Sie erweckt den Golem, als alles verloren scheint, der seine zerstörerische Spur durch den Palast zieht, im Gefolge hat er ein Rudel Löwen. Wie harsch der Film nun umgeht mit all dem Pomp und Protz, mit den feinen Hofleuten, die in Panik fliehen, ganz umsonst… Des Kaisers Kopf zermatscht der Golem mit dem Fuß, den Kanzler wirft er aus dem Fenster, unten erledigen die Löwen den Rest…
Ein toller Film, voll Grauen und voll Humor, ein hellsichtiger Film; ein Film über die und für die, die der Macht ausgeliefert sind. Das Losungswort, das den Golem erweckt, lautet: Die Revolution ist das Recht der Sklaven.