Die Tonfilmoperette und “Einmal eine große Dame sein”

Die Tonfilmoperette

In den Tonfilmjkahren der Weimarer Republik gab es eine speziell deutsche Spielart desr musikalischen Komödie. Genannt wurde sie – schon damals – „Tonfilmoperette“, angelehnt an die Leichtigkeit, die musikalische Beschwingtheit der Operettentradition des 19. Jahrhunderts. Erfinder, wenn man so will: Erich Piommer, der größte deutsche Filmproduzent überhaupt – sorry an die Herren Wendtland, Brauner, Eichinger. Pommer war erfolgreich und originell und innovativ, und mit der Tonfilmoperette brachte er einen ganz neuen Ton ins Kino, den es so noch nie gegeben hat und nie wieder geben würde.

Es sind romantische Geschichten von Mann und Frau, märchenhafte Träume, bestückt mit flotten Schlagern, die aus dem Spiel, aus dem Film, aus den Figuren kommen: Ein Freund, ein guter Freund; Das gibt’s nur einmal, das kommt nie wieder; Wir zahlen keine Miete mehr; Hoppla, jetzt komm ich; Das ist die Liebe der Matrosen; etcpp. Oftmals Verwechslungsgeschichte, in denen ein Adliger für einen Gewöhnlichen oder ein Gewöhnlicher für einen Adligen gehalten wird. (Wobei der Adel in der Weimarer Republik natürlich schon einen Hauch des Irrealen, vor allem aber der Nostalgie bedeutet).

Eskapismus pur? Nein. Denn die Filme reflektieren ihren Status als Märchen für die kleinen Ladenmädchen stets mit, spielen ironisch mit der Leinwandwelt, in der sich alle Wünsche erfüllen, im steten Bewusstsein, nicht das Leben darzustellen. In „Die drei von der Tankstelle“ schließt sich am Ende der Vorhang, Fritsch/Harvey sprechen direkt das Publikum an, um dann zur großen Schlussnummer überzugehen; in „Ein blonder Traum“ träumt Harvey minutenlang von Hollywood, in einer rasanten Sequenz, die die Filmwelt entzaubert. In „Ich bei Tag und du bei Nacht“ ist das Kinogehen, das Träumen, das Flüchten aus der harschen Wirklichkeit direkt thematisiert in den Figuren, die sich aus Armut ein Mietzimmer teilen müssen, je für Tag und Nacht.
Selbstreflexive Ironie machen die Filme aus, und sie lassen sie noch heute so modern wirken. Und sie hält die Handlung nicht davon ab, dass am Ende ein Millionär als deus ex machina alles zum Guten wendet mit Liebe, Geld und Glück. (Ein Millionär, wie er ebenfalls ironisch schon in Murnaus „Letztem Mann“, ebenfalls eine Pommer-Produktion, auftaucht).

Die Tonfilmoperette: Das ist Märchen mit Realitätsbezug, Schein in Dialektik mit Sein, das Unten, das sich flugs ins Oben verwandeln kann – präsentiert mit erzählerischer Raffinesse, flottem Timing, ironischem Witz (und mitunter durchaus frivol).
Ein Genre, das nicht mehr in die neue Zeit passte nach 1933, als Doppeldeutigkeit verpönt war – und vor allem, als alles Jüdische aus dem Filmschaffen herausgedrängt wurde, und die Tonfilmoperette ist ein dezidiert „deutsch-jüdisches“ Subgenre.

Dennoch gab es auch in der Goebbelszeit Tonfilmoperetten. Mittwoch abend etwa: „Glückskinder“, in endlich restaurierter Fassung, ein Film, der tatsächlich alle Qualitäten in sich vereinigt, die 1933 abgebaut wurden (Harvey und Regisseur Paul Martin waren in Amerika gewesen (der Karriere wegen) und zur UFA zurückgekehrt, und sie setzten die Tradition recht ungebrochen fort, in Zusammenarbeit mit Curt Goetz und seinen brillanten Dialogen; „7 Ohrfeigen“, der Nachfolgefilm mit fast demselben Team, kam ein Jahr später raus und ist mindestens ebenso witzig).

„Einmal eine große Dame sein“

Ebenfalls eine Tonfilmoperette: Gerhard Lamprechts „Einmal eine große Dame sein“ von 1934, die Geschichte von Kitty, Tippse in einem Autohaus mit großen Träumen. Am Sonntag, beim Campen mit Freundinnen, singen sie von ihren Sehnsüchten, von Mann, vom Kleid ihrer Träume, davon, wie es wäre, eine große Dame zu sein. Und plötzlich wird alles wahr, weil ein australischer Millionär durch Europa reist und seiner Tochter einen Zwölfzylinder-Mercedes für 40.000 Mark kauft, direkt von Kitty. Die ihr Glück kaum fassen kann: Ein traumhaftes Abendkleid bekommt sie obendrein geschenkt, und sie darf den Wagen zum ländlichen Hotel der Turners fahren! Aus einer Laune heraus gibt sie sich als Gräfin aus; der junge Baron von Wolfenstein glaubt ihr – und sie glaubt nicht, dass er Baron ist. Die Liebesgeschichte fängt an.

Der Gesang ist hier essentiell, nicht nur zwei, drei Schlager werden gesungen, nein: tatsächlich drücken sich die Gefühle in der Musik aus, ein flottes, spritziges Musical. Ein Märchen, Kitty sagt es selbst im Film, ein Traum – und ja: tatsächlich Eskapismus pur. Denn wir haben hier die neue Zeit, wir sind schon in der goebbelsschen UFA gelandet: Ein Film des Umbruchs, der die Tradition, den Weimarer Geist, leise, fast unmerklich überführt in die nationalsozialistische Ideologie, wie sie von nun an (fast) jeden deutschen Film bis 1945 durchdringen wird. „Harmlose Unterhaltung“, selbstverständlich, keine politische Erziehung; aber doch eine unaufdringliche Lenkung, die in „Einmal eine große Dame sein“ in einigen Momenten spürbar wird. Der alte von Wolfenstein etwa, der in der Vergangenheit lebt, der römische Münzen sammelt und alles Moderne verachtet. Ihm gegenüber der junge Baron, sein Neffe, der in die Landwirtschaft Maschinen einführen will, wo der Alte noch auf Pferde setzt.

Dieser Komplex ist um Wolf Albach-Retty zentriert, der den jungen Baron spielt, eine tatkräftige Führernatur seiner zwölf Freunde, die den Hof am Laufen halten, ein diplomierter Agraringenieur, der weiß, was die heutige Zeit verlangt, um Haus und Hof (sprich: die Volksgemeinschaft) zu ernähren. (Albach-Retty wird immer wieder solche Typen spielen in seiner Karriere, die strebsamen, dennoch gut gelaunten Männer der Tat). „Uns geht’s immer fabelhaft“, das ist der Gesang bei der Arbeit, die Freude macht – und es ist nicht ironisch gebrochen, anders als etwa in „Ein blonder Traum“, der von Fensterputzern handelt, die in alten Bahnwaggons hausen und deren Sang von der Miete, die sie nicht zahlen, mehr Trotz als Errungenschaft meint. Der Bruder des Barons übrigens Fluglehrer (was Anlass gibt zu schönen Scherzen mit einer Flugsimulations-Zentrifuge): Und der Fliegerfilm war ja ein eigenes Subgenre im NS-Kino, von Udet über „Stukas“ bis Quax.

Nicht falsch verstehen: Diese Motive sind nicht bedeutsam in Lamprechts Film, sie sind nur als Keime angelegt – Keime für das, was in späteren Unterhaltungsfilmen viel deutlicher, viel eindeutiger zum Ausdruck kommt: diese gewisse Tendenz im deutschen Kino der 30er und 40er.

„Einmal eine große Dame sein“ ist schon der Übergang zu dem, was kommen wird. Doch atmet er noch viel vom Weimarer Hauch, der über die „Machtergreifung“ hinübergeweht ist. Gespickt mit karikaturesken Figuren, wie sie im kommenden NS-Kino nicht mehr allzu gerne gesehen werden, mit dollen Bilderfindungen (weitergedachte Zitate, die zurückgehen bis zu den Lubitschkomödien um 1920 herum); mit einer bezaubernden Käthe von Nagy in der Hauptrolle: ein romantischer Traum, ein Kinomärchen, das auf der Leinwand Realität werden kann.

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