Filme von gestern für heute

Vorgestern bin ich ja beinahe ein bisschen erschrocken. Da habe ich nochmal meinen letzten Blogeintrag 2012 gelesen, der unter dem Titel „Was bleibt“ Momente und Details aufzählt, die mir damals, vor einem Jahr, bemerkenswert schienen. Nun der Schreck: An viele dieser „bleibenden“ Filmbilder konnte ich mich beim besten Willen nicht mehr erinnern; teilweise nicht mal mehr, dass ich den Film überhaupt gesehen habe.

Ist das der ewige Fluch der Berlinale, bzw. der Filmfestivals überhaupt, bzw. des exzessiven Filmgenusses, dass man – vergisst? Liegt es an den Filmen, dass die Erinnerung ihnen keinen Platz zuweist, liegt es am Umfeld der schieren Filmmasse eines großen Filmfestivals, dass mir Unbedeutendes so wichtig vorkam (weil ja der Einäugige König unter den Blinden ist)? Nein, ich fürchte, es liegt an mir. Am Alter. Das muss es sein.

Weshalb ich in diesem Jahr tue, was ich seit Jahren tun möchte: mich verstärkt der Retrospektive widmen. Denn Filme, die Jahrzehnte alt sind und heute noch gezeigt werden, die von ausgewiesenen Filmgeschichtsexperten ausgewählt wurden, weil sie in irgendeiner Weise bedeutend sind – an denen muss doch irgendwas so groß sein, dass es auf Höheres hinausweist als auf den bloßen Augenblick einer Festival-Filmsichtung.
In den vergangenen Jahren war es häufig so, dass ich mich hinterher geärgert habe, die Retro vernachlässigt zu haben; Buñuel und Bergman liefen an mir vorbei, dabei hätte ich hier in Berlin doch ihr Werk kennenlernen können! Und die Russland-Connection vom letzten Jahr ist auch ein Kapitel der Filmgeschichte, das bei mir noch immer Lücke ist.

Mit dem deutschen Kino der Weimarer Republik und der Nazijahre: Damit kenne ich mich freilich aus. Hunderte von Filmen habe ich gesehen, und zwar nicht nur die Klassiker, die man heute zumindest dem Namen nach kennt, auch viele der Gebrauchsfilme, die wahrscheinlich schon damals gleich wieder vergessen waren, die eben nicht blieben, pure eskapistische Unterhaltung der Goebbelszeit. Umso interessanter der Ansatz der Berlinale-Retro, die Ausstrahlungen des Weimarer Kinos auf die Filmhistorie zu untersuchen – eine Strahlung, die ja nach 1933 in Deutschland weitgehend gekappt war, nicht nur, weil ein großer Teil der Filmschaffenden auswanderte/auswandern musste, auch, weil überhaupt die Innovationskraft der UFA erlahmte: Denn gedreht wurde ja jetzt nicht mehr nur nach betriebswirtschaftlichen Richtlinien – die eben auch handwerkliches Können und mitunter Genialität verlangen –, sondern auch nach politischer Order. Nicht mehr nur das Verlangen von unten, von den Zuschauern, sondern das von oben, vom Propagandaministerium bestimmten die Produktionsprogramme, und eben auch die Ästhetik, die sich mehr und mehr aufs Einfache, Biedere beschränkte. Die Filme der 1930er Jahre: Das sind häufig genug schlampig Lichtsetzung, rucklige Kamerabewegungen, fehlende Musikeinsätze und ein grobes Nichtbeachten der dynamischen Möglichkeiten, die der Filmschnitt bietet: Schnitt-Gegenschnitt bei Dialogen ist fast schon eine Seltenheit, normal waren häufig simple Zweiereinstellungen. Abgefilmtes Theater.

Die kurze Spanne des Tonfilms bis 1933: Das war die wirklich große Zeit des deutschen Films, hier liegen tatsächlich die Wurzeln für die bestimmenden Stile und Ästhetiken des Hollywoods der 1930er und 40er Jahre. Man sehe sich Robert Siodmaks „Voruntersuchung“ (1931) an, ein astreiner Film Noir. Oder „Nie wieder Liebe“, Anatole Litvak ebenfalls 1931: Screwball Comedy avant la lettre, in denen sich Männlein und Weiblein kabbeln, bis die Liebe beginnt.

Nun ist nicht das Weimarer Kino selbst das Thema. Es geht um die Filme danach, die nicht entstanden wären ohne die deutsche Kinematographie vor Hitler. Ein bisschen zu viel Wert gelegt wurde freilich auf die Exilanten; „Casablanca“ muss man nun wirklich nicht noch einmal sehen. Auch „Some Like It Hot“ muss eigentlich nicht sein; da gäbe es andere Filme Wilders mit größerer Nähe zum Weimarer Kino (allein schon, dass in „Sunset Boulevard“ eine Idee der Drehbuchschreiber im Film die Grundvoraussetzung von „Ich bei Tag und du bei Nacht“ (auch so eine frühe Screwball Comedy) zugrunde liegen hat, fast ein filminternes Remake).

Ich jedenfalls werde mich in diesem Jahr, in diesem Blog, auf die Retroschiene stürzen; werde hoffentlich erhellende Verbindungen und feine Vergleiche finden – denn die Filme der 20er Jahre, die ich gesehen habe: Das sind solcherartige, dass sie in meinem Kopf gespeichert sind. Diese Filme: die bleiben.

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