Herr Wichmann ist immer noch da

2002 bemühte sich Henryk Wichmann, für die CDU in den Bundestag zu kommen. Andreas Dresen begleitete diesen Versuch, “ich mag Verlierergeschichten, die CDU steht in Brandenburg auf verlorenem Posten”, erklärte Dresen, deshalb Wichmann. Nun ist Wichmann wieder da, im Kino – aber in Brandenburg war er nie weg, inzwischen ist er Landtagsabgeordneter, und Dresen dokumentiert den Alltag der Mühen der Ebene: “Herr Wichmann aus der dritten Reihe” zeigt den agilen Jungpolitiker, ganz hinten, ganz außen auf der Oppositionsbank.

Wichmann kümmert sich, er hat drei Wahlkreisbüros – andere haben gar keins, sagt er, die habens einfacher, die werden mit den Problemen nicht konfrontiert. Wichmann liebt die Probleme, er liebt sie sich anzuhören, zu kommentieren und wenn möglich zu lösen. Wahrscheinlich deshalb ist er Politiker geworden, und er macht das gut, ist immer auf Achse, hat für jeden einen Handschlag bereit, und im Landtag hebt er zum richtigen Zeitpunkt die Hand. Rotkreuz-Spendenstand, Forstwirtschaft, Schulbesuche, Bürgersprechstunde (“Wichmann hört zu”), Ortstermine, Sitzungen, Debatten uswetcpp.: Wichmann ist dabei, tourt durchs Land. Mitunter ist das zuviel für Dresens Film, er verliert sich etwas in den immergleichen Details des Politikeralltags. Klar: Genau darum geht es dem Film; aber beispielsweise muss eine Bundeswehrparade nicht inklusive Einmarsch und Rede gezeigt werden, wenn es eigentlich nur darum geht, zu zeigen, wie schließlich alle im Platzregen stehen und die Nationalhymne singen müssen.

Aber dann sind da noch geschickt eingewoben diese Handlungsstränge, die immer wieder aufpoppen, der Schreiadler, der von einem geplanten Fahrradweg gestört werden könnte, das Grundwasserschutzgebiet, das seit 20 Jahren als illegale Müllkippe benutzt wird, der Kanal zwischen zwei Seen, der für Segler gesperrt ist. Und die Erfolge: Die Vor-Ort-Einigung zwischen Naturschützern und einem Bauern, dessen Waldstück in Moor verwandelt werden soll, oder der größte Coup von Wichmann: Die Bahn, die am Bahnhof hält, aber keinen ein- und aussteigen lässt. Als das beim Ortstermin dem verkehrspolitischen Sprecher des Landtags passiert, ist dieser Unsinn schnell gegessen.

Wichmann ist da für die Leute. Er ist ein Guter. Und er ist natürlich eine lächerliche Figur, zappelig und nervös, der zuviel redet und zuviel lächelt, auch bei gegensätzlichen Ansinnen. Man wüsste gerne, ob er auch dann soviel kommentiert und quatscht, wenn nicht Kamera und Mikrophon um ihn sind: unter seinen Fraktionskollegen scheint er jedenfalls der größte Quassler zu sein.
Aber andererseits: lächerlich sind sie sowieso alle, bis hinauf zu Platzek, der herumwichmannt, als der echte Wichmann mit dem Segler-Anliegen auf ihn zukommt.

Und: Dass sie lächerlich sind, die Herren Politiker: macht sie das schlecht? Auf seltsame Art – indem er eine dokumentarische Komödie dreht – bringt Dresen den Politikalltag nahe; er macht lachen, und vielleicht lässt er Politikerverdrossenheit schwinden.

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