Death Row

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Die Berlinale hat noch nicht begonnen, und sie hat doch schon begonnen – mit einer Vorab-Vorabend-Pressevorführung von Werner Herzogs vierteiliger TV-Dokureihe „Death Row“ über Insassen amerikanischer Todeszellen. Das ist ein guter Start für das Festival 2012.

Gedreht hat Herzog im Zuge seiner Lang-Dokumentation „Into the Abyss“ über zum Tode Verurteilte; und vertieft nun das Thema anhand von vier weiteren Häftlingen. Viermal 45 Minuten – sie sind nicht dazu gemacht, am Stück gesehen zu werden; aber andererseits: das schadet auch nicht. Fünf Todeskandidaten, die unterschiedlich mit ihrer Situation umgehen, die unterschiedlich in ihre Situation geraten sind. Fünf Todeskandidaten, die von Herzog befragt werden, deren Fälle er porträtiert. Fünf Todeskandidaten, die auf das Datum warten, das eine, das ihr Leben beenden wird. Oder auf den Anruf, der sie erlöst.

Da ist zum Beispiel James Barnes, der wegen Totschlags an seiner Frau einsaß, nach Jahren einen Mord gestand, für den er dann zum Tode verurteilt wurde. Und nun vor Herzog zwei weitere Morde zugibt, als alle Berufungsappelle im Sande verlaufen sind. Will er damit sein Gewissen erleichtern? Oder nur mehr Zeit gewinnen, durch weitere Ermittlungen, weitere Gerichtsverfahren? Barnes weiß ganz genau, was er wann wie sagen soll, er ist ein fast feingeistiger Herr, intelligent und eloquent. Gleich zu Beginn stellt Herzog klar: So viel Sympathie er für diverse Revisionsappelle hat: er muss diesen Mann nicht mögen.
Dann sind da zwei, Teil der berüchtigten Texas Seven, die nach dem spektakulären Gefängnisausbruch verschiedene Überfälle verübten und dabei auch einen Polizisten töten. Der eine, das Mastermind der Bande, ist verantwortlich, sieht sich verantwortlich; der andere war wohl bei den tödlichen Schüssen nicht dabei, als Bandenmitglied wurde er aber mit zum Tode verurteilt.

Im Vorspann der Serienteile stellt Herzog schon klar, dass er – als Deutscher, als Gast in den USA mit anderem kulturellem und historischem Hintergrund, mit allem gebührenden Respekt die Todesstrafe ablehnt. Sind seine Filme also Agitationen gegen die US-spezifische Hinrichtungspraxis? Nein. Es sind Porträts von Inhaftierten. Es sind True Crime-Fälle. Es sind Dokumente von menschlichen Abgründen, von Schlimmem, Üblem, Unverzeihlichem, es sind Veranschaulichungen von Unmenschlichem. Mehr oder weniger unausgesprochen: Auch des Unmenschlichen im Strafvollzug.
Vor allem aber sind es Betrachtungen über Manipulation. Einerseits der Häftlinge durch Herzog, der mit sanften Fragen sie zum Erzählen bringt, immer wieder mit Zuckerbrot und Peitsche agiert: der einen melodramatischen Moment herausholt, wenn er James Barnes eine Liebesbezeugung von dessen Vater überbringt; der aber auch immer wieder die Inhaftierten mit ihren Verbrechen konfrontiert: You killed a man, let’s face it.
Manipulationen der Häftlinge, die die Dokumentation verständlicherweise als Hilfe bei ihrem Anliegen benutzen möchten: die ihren Fall aus ihrer Sicht darstellen, und dabei auch mal die Wahrheit verdrehen. Und Dokumente von Manipulation durch die ermittelnden Polizisten und Staatsanwälte, die ihren Fall unbeschadet durchs Gerichtsverfahren bringen wollen, und das Todesurteil als Sieg betrachten.

Es kommt auch Hank Skinner zu Wort, der seine Unschuld beteuert und per Beschluss des Obersten Gerichtshofes immerhin durchgesetzt hat, dass die Staatsanwaltschaft alle DNA-Beweise freigeben muss zur Untersuchung: er erhofft sich entlastende Spuren, die Indizien wurden zurückgehalten, weil es angeblich schon genügend Beweise gegen Skinner gab. Oder Linda Carty, in deren Fall mehr oder weniger Aussage gegen Aussage steht; und die Staatsanwältin argumentiert vor Herzogs Kamera nicht faktisch, sondern emotional, als müssten Geschworene mit Gefühl, nicht mit Klarheit gewonnen werden. Wie das Opfer denn gestorben sei, fragt Herzog – und die Anklagevertreterin schildert ausgiebig die Angst, den Schock eines Menschen, der im Kofferraum um sein Leben bangt: was die Frage nicht beantwortet, aber ein schlechtes Licht auf die Verurteilte wirft. Die mag schuldig oder unschuldig sein – sie hat keinen fairen Prozess erhalten, mit einem unfähigen Pflichtverteidiger, der vor Gericht kein Kreuzverhör führte und die Angeklagte von einer eigenen Aussage abhielt.

So ist „Death Row“ ein spannendes Stück Kriminalgeschichte – und eher hintenrum, deutlich wohl vor allem für den, der ohnehin dieser Meinung ist, ein Film gegen die Todesstrafe. Indem ganz einfach Zweifel angesprochen werden an der Schuld einiger Täter, Zweifel auch an einigen Praxen des US-Justizwesens.
Sie vermenschlichen die Täterin fürs Fernsehen, und dabei gerät in Vergessenheit, wer das eigentliche Opfer ist, wirft die Staatsanwältin Herzog im Interview vor. Nein, da muss ich widersprechen, erwidert der. Ich vermenschliche sie nicht, ich versuche das gar nicht. „Sie ist ein menschliches Wesen. Punkt.“ Klarer kann man das Anliegen Herzogs nicht ausdrücken.

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3 Antworten auf Death Row

  1. joerg.buttgereit sagt:

    In Herzogs schönem Englisch klingt das im Film natürlich viel schöner: “She ist a human being”.

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