Fünf für Schlingensief

Letztes Jahr war er noch selbst Teil des Berlinaleprogramms, mit einer furiosen Performance zu einem uralten „Göttliche-Komödie“-Stummfilm. Dieses Jahr, zu seinen Ehren und zu Ehren seiner Kunst, sprachen im Hebbel am Ufer fünf Wegbegleiter über Christoph Schlingensief, den Allround-Künstler. Filme, Theater, Performance, Oper und, unvollendet, ein Festspielhaus in Afrika: jeweils nach sieben Jahren habe Schlingensief das Metier gewechselt, so die etwas inakkurate und sehr über den Daumen gepeilte Zusammenfassung von Schlingensiefs künstlerischem Werden und Wirken durch Matthias Lilienthal; seine Vielfältigkeit kommt dabei aber doch gut zum Ausdruck.

Zunächst referierte Georg Seeßlen über Schlingensiefs filmische Errungenschaften, insbesondere unter der Kategorie des Schönen fasste er das Werk; des Schönen nicht im klassischen, ästhetischen Sinn, sondern im Sinn moderner, allumfassender Kunst. Diverse Konzepte der Kunst, von Dadaismus und Surrealismus bis Fluxus und Beuys, fließen da zusammen, und vor allem Trash, die Mitternacht- und Grindhouse-Movies, denen Schlingensief im „Deutschen Kettensägenmassaker“ explizit die Referenz erwies. Christliche Mythen und autobiographische Versatzstücke, dazu die Bürde der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts überlagern sich, wenn sich seine Schauspieler, die eher beteiligte Künstler sind, ausagieren.

Womit Kunstmuseenkurator Anselm Franke übernahm, der Schlingensiefs Spiel mit den Medien und sich selbst anhand eines paradigmatischen „Talk 2000“-Ausschnittes verdeutlichte. Und Schlingensiefs Aufbegehren gegen den deutschen Konsens, gegen den deutschen Konformismus beschrieb: indem er affirmativ teilnimmt, um dann im richtigen Moment alles auseinanderzureißen, aufzubrechen durch systematische Hysterisation.

Verschiedene Projekte, verschiedene Aspekte von Schlingensief sollten beleuchtet werden an diesem Abend, das war der Plan: dem internationalen Berlinale-Publikum und den Talent-Campus-Studenten das Gesamtkunstwerk Schlingensief nahezubringen. HAU-CHef Matthias Lilienthal berichtete vom „Ausländer Raus“-Kunstprojekt in Wien, zu Zeiten der damaligen FPÖ-Regierung, zu Zeiten von Big Brother, als Schlingensief Asylbewerber vor der Wiener Staatsoper in einen Container sperrte und per Voting über ihre Ausweisung abstimmen ließ. Francis Kéré, Architekt, schilderte in einer klug aufgebauten, witzig dargebrachten Powerpoint-Präsentation vom Operndorf in Burkina Faso, Schlingensiefs letztem und vielleicht wichtigsten, weil nachhaltigsten Projekt.

Hatte ich erwähnt, dass die Veranstaltung auf englisch stattfand, wegen der Internationalität? Die Fremdsprache führte zum unterhaltsamsten Höhepunkt des Abends, als Volksbühne-Dramaturg Carl „I am on the row“ Hegemann seine nicht vorhandenen Englischkenntnisse zusammenkratzte, um über Oper und „Mea Culpa“ zu berichten; und natürlich über die langjährige Zusammenarbeit bei verschiedenen Kunstprojekten. Ein solches Radebrechen (wie er tapfer versuchte, „improbability“ auszusprechen, die Silben überhaupt in die richtige Reihenfolge zu bekommen!), ein dermaßen konsequentes und unbeirrtes Aufbrechen von Sprache, von Kommunikation, vom ganzen Sinn einer Paneldiskussion und Talkrunde hätte Schlingensief sich gewünscht; und ohne ein solches Chaos der Form, ein solches Auflösen der Ordnung – gewollt oder ungewollt, auf jeden Fall aber in Kauf genommen – wäre ein Abend über Schlingensief nicht zu rechtfertigen gewesen.

Harald Mühlbeyer

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